Geschichte

Aufbruch in Schwante: SDP-Gründung mit Stasi-Beteiligung

Am 7. Oktober 1989 gründeten 43 Männer und Frauen die Sozialdemokratische Partei (SDP) in der DDR – und die Stasi saß mit im Pfarrhaus in Schwante. Der Spitzel wurde sogar Partei-Vorsitzender.
von Renate Faerber-Husemann · 9. Oktober 2014
SDP In Schwante gaben diese Frauen und Männer den Startschuss zur Wiedergeburt der Sozialdemokratie in Ostdeutschland.
SDP In Schwante gaben diese Frauen und Männer den Startschuss zur Wiedergeburt der Sozialdemokratie in Ostdeutschland.

Alles musste konspirativ ablaufen bei der Gründung der SDP am 7. Oktober 1989. Die Sorge war groß, dass das kleine Häufchen mutiger Bürgerrechtler um die Pastoren Martin Gutzeit und Markus Meckel sich nicht wie geplant im Pfarrhaus von Schwante trifft, sondern im Stasi-Knast von Berlin-Hohenschönhausen endet. Gutzeit erzählte später in einem Interview mit der „Berliner Stimme“: „Niemand sollte sich in der Nacht vor der Gründungsversammlung in seiner Wohnung aufhalten. Damit der Treffpunkt in Schwante nicht vorher bekannt wurde, habe ich verschiedene Leute unterwegs mit dem Auto abgeholt. Morgens hatte ich in verschiedenen Kaufhallen nach und nach Lebensmittel für 40 Personen abgeholt.“

Es waren dann 43 Männer und Frauen, die 40 Jahre nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED in der DDR wieder eine (illegale) SPD gründeten, wenn auch zunächst unter dem Namen SDP. Martin Gutzeit: „Hier ging es darum, die Grundlagen für eine offene Gesellschaft und einen demokratischen Rechtsstaat zu schaffen.“ Dieser 7. Oktober 1989 war nicht nur in Schwante ein denkwürdiger Tag: In Berlin wurde mit großem Pomp der 40. Gründungstag der DDR gefeiert, während in vielen Städten große Protestdemonstrationen stattfanden, die gewaltsam aufgelöst wurden.

Drei Pastoren und ein Stasi-Spitzel

Geschäftsführer und später erster Vorsitzender wurde Ibrahim Böhme, erster Sprecher Stephan Hilsberg, zweite Sprecher Angelika Barbe und Markus Meckel. Die praktische und intellektuelle Vorbereitung hatten Martin Gutzeit, Markus Meckel,  Arndt Noack – und Ibrahim Böhme geleistet.  „Wir waren also zunächst, so Meckel viele Jahre später sarkastisch „drei Pastoren und ein Stasi-Mitarbeiter.“ Der charismatische Ibrahim Böhme, dessen ganze Biografie – einschließlich des Namens – zusammengelogen war, wurde rasch zum Darling der West-SPD. Seine Enttarnung im Mai 1990 war ein Schock.

In einem Text der Stasi-Unterlagen-Behörde heißt es über Böhme und die SDP-Gründung unter Stasi-Begleitung: „Bereits am 1. August 1989 kam die zuständige Stasi-Hauptabteilung XX in den Besitz des ersten Parteikonzepts. Ein inoffizieller Mitarbeiter, IM ‚Maximilian‘, hatte den Programmentwurf übergeben und verriet die beiden Verfasser.“ IM Maximilian, das war der in der DDR-Opposition bestens vernetzte Ibrahim Böhme. „Auch die SDP-Gründungserklärung“, so fährt die Stasi-Unterlagen-Behörde über Böhme fort, „leitete er sofort weiter und ermöglichte es dem MfS frühzeitig, eine ‚Strafrechtliche Einschätzung zum Aufruf der Initiativgruppe Sozialdemokratische Partei in der DDR‘ zu verfassen.“ Laut MfS war diese Gründung strafbar, weil sie „die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR“ angreife.

Verhaftungen drohten

Bis heute wundern sich die Gründer, dass sie nicht verhaftet wurden. Markus Meckels Erklärung: „Ich kann nur vermuten, dass die Destabilisierung schon so weit fortgeschritten war, dass die Angst herrschte, eine Verhaftung der Initiatoren würde ein solches Projekt nur befördern.“ Werben für ihren Plan konnten die Bürgerrechtler ja nur im engsten Kreis – zunächst ohne Erfolg. „Im ersten Halbjahr 1989 haben wir niemanden gefunden, der bereit war mitzumachen, es erschien zu gefährlich. Und erst durch die Destabilisierung infolge der Ausreisewelle im Sommer wuchs die Bereitschaft, die Hoffnung mancher, dass es doch Sinn machen könnte.“

In Schwante waren – so einer der Mitgründer, Harald Seidel aus Greiz – „43 Gründungsmitglieder, darunter 17 Theologen. Etwas spöttisch wurde unsere junge Partei die ‚Pfarrer-Partei‘ genannt.“ Für Markus Meckel war das nicht verwunderlich: „Die Kirche war der Raum, in dem man sich treffen und frei reden konnte. Das gab es woanders nicht. Sie war eine Institution, in der demokratische Strukturen lebendig waren.“

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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