Alfred Nau: der ewige Schatzmeister der SPD
Am 24. April 1972 bringt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, einen Antrag in den Bundestag ein, der zum Ziel hat, Bundeskanzler Willy Brandt abzuwählen. Vorausgegangen sind diesem Misstrauensantrag Monate der Auseinandersetzung um die Ostpolitik, in deren Folge die Mehrheit der sozialliberalen Bundesregierung so stark geschmolzen ist, dass Rainer Barzel die Chance zum Regierungswechsel sieht.
In den Tagen bis zur Bundestagssitzung am 27. April 1972 brodelt es in den Gerüchteküchen des Bundestages und der Parteizentralen. Willy Brandt notiert in seinen Erinnerungen, seine innere Stimme habe ihm signalisiert, „dass Barzel kein Erfolg beschieden sein würde“ — und fügt hinzu: „Der damalige Schatzmeister meiner Partei, Alfred Nau, der mutige Antinazi, der mein uneingeschränktes Vertrauen besaß, (…) hatte mir beiläufig gesagt, er glaube, dass alles gutgehen werde.“ Nau sollte Recht behalten, denn der Barzel-Antrag scheiterte. Worin Alfred Nau seinen Glauben gründete, hat der verschwiegene, gehobene Parteiarbeiter für sich behalten.
Retter eines Teils des SPD-Vermögens
Alfred Nau ist ein typisches Beispiel für den Parteiarbeiter, der die Fäden der großen Politik aus der zweiten Reihe zu ziehen versteht. Geboren wird Nau am 21. November 1906 in der seinerzeit selbständigen Stadt Barmen. 1922 tritt er der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei, der damaligen Jugendorganisation der SPD. 1925 wird der gelernte Versicherungskaufmann Alfred Nau Mitglied der SPD, für die er 1928 als Volontär zum Parteivorstand nach Berlin geht. Sein finanzieller Sachverstand lässt ihn zum Assistenten an die Seite der Parteikassierer Konrad Ludwig und Siegmund Crummenerl aufrücken.
Als die Nazis nach dem Reichstagsbrand die KPD verbieten, wissen auch viele in der SPD-Parteizentrale endlich, was die Stunde geschlagen hat. Es gilt, sich auf die Emigration oder die illegale Arbeit einzurichten. Mit Siegmund Crummenerl beginnt Alfred Nau Teile des Parteivermögens auf Schweizer Bankkonten zu überweisen. Auch Gelder der Parteibasis können gerettet werden. Dazu trifft sich Nau mit Parteigeschäftsführern aus ganz Deutschland in einem Café in Berlin und nimmt größere Geldbeträge entgegen, die ebenfalls transferiert werden. Im Mai 1933 wird Alfred Nau vom Parteivorstand beauftragt, Kassenbücher und Vorstandsakten zu verbrennen.
Soldat, um sich der Beobachtung der Gestapo zu entziehen
Alfred Nau glaubt wie viele Sozialdemokrat*innen, der Nazi-Spuk werde bald vorbei sein und bleibt in Deutschland. „Wir waren ja junge, fast unbekannte Funktionäre, unverheiratet, und glaubten, dass unsere Anwesenheit und illegale Arbeit in Deutschland ebenso wichtig sei wie die Emigrationsarbeit“, erklärt Nau nach Kriegsende. Nau findet eine Anstellung als Versicherungsvertreter für den „Leipziger Verein Barmenia“. Auf einem Werbeprospekt ist er als „Der Mann mit der Aktentasche Ihr Freund“ abgebildet. Nachdem er zum Bezirksleiter seiner Versicherung aufgestiegen ist, kann er im östlichen Teil Deutschlands unterwegs sein und beteiligt sich an der Verbreitung des in Prag erscheinenden „Neuen Vorwärts“.
Im November 1933 wird er im Zuge einer Gestapo-Aktion gegen die Gruppe „Roter Stoßtrupp“ eher zufällig verhaftet, aber nach wenigen Tagen mangels Beweisen frei gelassen. Das lässt ihn vorsichtig werden und seine illegalen Aktivitäten zeitweise ruhen. Dennoch wird er am 3. Dezember 1934 in seiner Wohnung in Berlin festgenommen und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ 14 Monate lang inhaftiert. Der fortgesetzten Beobachtung durch die Gestapo entzieht sich Alfred Nau schließlich, indem er 1942 Soldat wird.
Wahl zum Hauptkassierer – für 30 Jahre
Im Frühjahr 1945 findet Kurt Schumachers Organisationssekretär Egon Franke, den gerade aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen Alfred Nau in Duderstadt und überzeugt ihn, nach Hannover ins „Büro Dr. Schumacher“ zu kommen. Mit seinem finanziellen Sachverstand ist Nau die ideale Ergänzung für die Keimzelle der Nachkriegs-SPD und, als einer der Jüngeren, Bindeglied zwischen der alten und der neuen Sozialdemokratie. Auf dem ersten Westzonen-Parteitag der SPD, der vom 9. bis zum 11. Mai in Hannover abgehalten wird, wählen die Delegierten Alfred Nau zum Hauptkassierer. Dieses Hauptamt wird er bis 1975 ausüben.
Vier mächtige Aufgaben liegen in den Anfangsjahren seiner Tätigkeit als Hauptkassierer vor Alfred Nau: die Rückerstattung der von den Nazis enteigneten Parteiliegenschaften, die Wiedergründung der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Aufbau der Konzentration-GmbH, die den Medienbereich der SPD unter ein Dach bringt und — nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland — der Umzug der Parteizentrale von Hannover nach Bonn.
Alle Aufgaben meistert Nau mit „Zähigkeit, Sachkompetenz, Umsicht und Fleiß“ lobt Willy Brandt und bescheinigt ihm darüber hinaus „eine gewisse Schläue und taktisches Geschick“. Mehr als Andere ist Nau die „graue Eminenz“ der Partei. Dabei kommt ihm zu Gute, dass er kein Abgeordneten-Mandat inne hat und Abwerbungsversuchen aus der „freien Wirtschaft“ widersteht. Das macht ihn nach außen hin unabhängig und bringt ihm Achtung über die Partei- und Verbandsgrenzen hinaus ein.
Fast sein ganzes Leben mit der SPD verheiratet
Anfang der 1960er Jahre gilt die SPD als „reiche“ Partei. 1963 etwa erzielen die in der Konzentration zusammen geschlossenen Unternehmen einen Umsatz von gut 300 Millionen Mark. Das ist in großem Maße dem Wirken Alfred Naus zu verdanken. Auf dem SPD-Parteitag 1964 erklärt er zum „Reichtum“ der Partei: „Nun ja, das hören wir nicht ungern, und wir stellen meistens die Gegenfrage: Wer wollte denn noch einmal arm sein?“ Wenige Jahre später hätte Nau das nicht mehr sagen können.
Als Mitte der 1960er Jahre die Pressekonzentration in der Bundesrepublik einsetzt, trifft es die sozialdemokratischen Zeitungen besonders hart. Die Technik der parteieigenen Druckereien ist veraltet und die Redaktionen zu sehr von der Parteiführung abhängig. Traditionsblätter wie das „Hamburger Echo“, der Berliner „Telegraf“ oder die „Hannoversche Presse“ müssen geschlossen werden. Anfang der 1970er Jahre ist die Konzentration-GmbH stark verschuldet. Das wird vor allem Alfred Nau angelastet. Auf dem SPD-Parteitag 1973 wird ihm die Wiederwahl zum Schatzmeister im ersten Wahlgang verweigert. Erst die Intervention von Willy Brandt sichert Nau im zweiten Wahlgang eine knappe Mehrheit. Innerlich enttäuscht über so viel Undank, nimmt der langjährige Zahlmeister der Partei die Wahl noch einmal an. Die Zuständigkeit für den Medienbereich der Partei verliert er jedoch.
1975 endet Alfred Naus im Großen und Ganzen erfolgreiche Tätigkeit als Schatzmeister der SPD. Fortan widmet er sich als Vorstandsvorsitzender den Geschicken der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Anerkennung seiner Lebensleistung wird Alfred Nau 1983 zum Ehrenpräsidenten der Sozialistischen Internationale ernannt. Am 18. Mai des Jahres stirbt der Mann, der fast sein ganzes Leben lang mit der SPD verheiratet war.