Debatte

Kultur als Standortvorteil für alle

Die Kulturdebatte hat klare Sorgen zum Ausdruck gebracht: Bedrohungen durch TTIP, die Kostenlos-Mentalität im Internet oder ökonomischen Druck überhaupt. Natürlich darf Kunst nicht auf wirtschaftlichen Nutzen reduziert werden. Aber sie darf nützlich sein, und soll der Gesellschaft auch Gewinn bringen.
von Thorsten Schäfer-Gümbel · 26. März 2015
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Ich will mich am Anfang ganz herzlich für die rege Beteiligung an der Kulturdebatte auf vorwärts.de bedanken. Die spannenden und anregenden Beiträge werden die Kulturdebatten der Sozialdemokratie bereichern.

Die Kulturdebatte hat gezeigt, welche unterschiedlichen Sichtweisen und Anforderungen mit Kulturpolitik verbunden werden. Da zeigen sich die Sorgen um ein Ausbluten der Kultur und mögliche Bedrohungen via Freihandelsabkommen TTIP, durch die zunehmende Ökonomisierung von Kultur sowie durch die Kostenlos-Mentalität im Internet. Die Einwürfe sind begründet und man muss sich ihnen stellen. Die Sichtweisen verharren aber nicht in Nörgelei und der Konservierung des Status quo. Stattdessen muss der Beitrag der Kultur für gesellschaftliche Entwicklungen allgemein und für den Einzelnen stärker ins Zentrum gerückt werden. Kultur ist eben mehr wert.

Kultur darf sehr wohl nützlich sein

Johano Strasser betont in seinem Beitrag, dass Kunst keiner Rechtfertigung durch den Verweis auf Nützlichkeiten bedarf. Ingo Schulze noch radikaler: Solange Demokratie sich Markt und Wachstum unterordnet, soll man erst gar nicht von Kulturpolitk reden. Hier rufe ich dann doch etwas provozierend: Einspruch! Politikverdrossenheit, auch wenn sie von links kommt, hilft nicht weiter. Natürlich darf die Kunst nicht auf ihren wirtschaftlichen Aspekt reduziert werden. Nützlichkeit ist aber mehr als dieser Punkt. Die Einbeziehung der Nützlichkeit der Kultur als Teil der Stadtentwicklung oder Quartiersentwicklung führt zwingend zu einer Einsicht: Eine aktive Kulturszene ist ein Standortvorteil, meistens nicht in Bezug auf fiskalische oder wirtschaftliche Aspekte, aber ganz sicher im Bezug auf den sozialen Zusammenhalt.

Standortvorteile durch Kulturarbeit

Der Standortvorteil Nummer eins: Wir stärken die Bildung vor Ort, wenn wir die richtigen Konzepte vorlegen. Irina Wanka hat zu Recht in ihrem Beitrag auf die fehlende Kunstvermittlung im Unterricht hingewiesen. Das Thema müssen wir verstärkt angehen und nicht nur an Schulen. Kunst muss wieder Teil unser aller Leben sein und nicht nur in Großstädten – durch Projekttage an Schulen, durch Betriebsausflüge, durch die verstärkte Nutzung öffentlicher Orte. Hier müssen wir als Politiker Möglichkeiten der Förderung schaffen. Und die Digitalisierung klar mit einbeziehen. Denn E-Books in Bibliotheken, digitale Wanderungen durch Ausstellungen und die Möglichkeiten für weitere Klicks, Videos, Infos, Bilder und sogar Vernetzung zu weiteren Interessierten bieten unendliche Möglichkeiten für unsere Gesellschaft.

Der Standortvorteil Nummer zwei: Je mehr Kultur leicht zugänglich gemacht werden kann, umso stärker kann sie zu öffentlichen Debatten beitragen. Streitigkeiten bringen uns voran. Tanja Dückers hat in ihrem Text von der Lust auf das andere Denken gesprochen, die uns im Kampf gegen Rassismus voranbringt. Wolfgang Thierse betonte die Offenheit für das Fremde, um wertbegründete Entscheidungen fällen zu können. Siggi Ehrmann sieht in der Kultur einen wichtigen Beitrag zur Friedenspolitik. Ein großes Kulturangebot öffnet die Gesellschaft und kann einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von gegenseitigem Verständnis leisten. Man denkt über Neues nach, statt in seiner eigenen Suppe zu baden. Wenn das kein Standortvorteil ist, auch für Kommunen.

Arbeitsplätze für Kreative sichern

Der Standortvorteil Nummer drei: Arbeitsplätze. Dies darf nicht mit einer wirtschaftlichen Nützlichkeitsdebatte gleichgesetzt werden. Doch für Sozialdemokraten steht das Thema Arbeit immer im Vordergrund. Gute Arbeit bedeutet für uns Selbstverwirklichung und Emanzipation. Daher brauchen wir eine breite Definition von Kultur und Kreativität und müssen diesen Wirtschaftszweig verstärkt fördern – über ein starkes Urheberrecht, über unbürokratische Wege wie Stipendien, über die Schaffung von Infrastruktur und Räumen sowie über neue Wege der Start-up-Förderung. Viele Städte wie Berlin und Hamburg gehen hier bereits einen richtigen Weg, wie es beispielsweise der Text von Katja Lucker und Tatjana Kaube zeigt. Auch die Arbeit der Sozialdemokraten in der Großen Koalition ist sehr lobenswert. Doch nur wenn wir alle als Kulturpolitiker diese Ansicht vertreten, steigt die Bedeutung des Kreativen für die Gesellschaft.

Martin Dörmann hob ein Grundverständnis sozialdemokratischer Kulturpolitik besonders hervor: die Perspektive des Künstlers, des Kreativen, desjenigen also, der Kultur schafft und seine kreativen Ideen umsetzt. Kulturpolitik muss den Raum schaffen, der künstlerischen und kreativen Erfolg ermöglicht, aber auch das Scheitern zulässt ebenso wie die zweite Chance und die dritte.

Kultur als Gewinn für die Gesellschaft

Er weist wie viele Beiträge beim diesjährigen Treffen der regionalen Kulturforen in Bremen darauf hin, dass wir eine Debatte darüber brauchen, welcher Begriff von Kunst und Kultur Grundlage der öffentlichen Förderung sein soll. Wie weit das Verstörende, das Kritische, das Innovative, das Neue und Junge, das kulturell Vielfältige, oder neue Formen der Kooperation von kulturellen Akteuren in der Fläche, wo es kaum noch kulturelle Infrastrukturen gibt, die notwendige Förderung und Unterstützung erfahren, ist eine offene Frage.

Hans-Werner Meyer plädiert in seinem Text gegen die Ausrichtung der Kultur an der Gewinnmaximierung. Ich möchte aber betonen: Es muss um einen Gewinn für die Gesellschaft gehen. Dafür muss sozialdemokratische Kulturpolitik einstehen.  

 

Autor*in
Thorsten Schäfer-Gümbel

ist stellvertretender SPD-Vorsitzender sowie Fraktions- und Landesvorsitzender der SPD in Hessen. Er ist Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie.

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