Geschichte

Stolz und unzufrieden

von ohne Autor · 26. Juni 2009
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Nur 51 Prozent der Ost- und 60 Prozent der West-Deutschen gaben an, die Hoffnung aus der Wendezeit auf materiellen Wohlstand habe sich 20 Jahre nach dem Mauerfall erfüllt. Noch deutlicher ist der Unterschied bei der Frage nach der Durchsetzung des Rechtsstaats. 56 Prozent der Menschen in Ost gegenüber 78 Prozent der Menschen in West sind der Meinung, dass diese Hoffnung erfüllt worden sei. Beim Recht auf Freiheit hingegen herrscht bei 90 Prozent der Ost- und 94 Prozent der Westdeutschen Zufriedenheit.

In einem gewissen Widerspruch dazu steht die Tatsache, dass 49 Prozent der Menschen in Ostdeutschland der Meinung sind, die DDR habe mehr gute als schlechte Seiten gehabt und man habe dort trotz einiger Probleme gut leben können. Acht Prozent meinen sogar, "man lebte dort glücklicher und besser als heute im wiedervereinigten Deutschland". Im Westen dagegen ist das DDR-Bild deutlich negativer. 52 Prozent sind sicher: "Die DDR hatte mehr schlechte als gute Seiten". 26 Prozent geben sogar an, die DDR habe "ganz überwiegend schlechte Seiten" gehabt. Einig sind sich beide Seiten hingegen bei der Frage, ob die Ostdeutschen auf die friedliche Überwindung der SED-Herrschaft stolz sein könnten. 85 Prozent der Ost- und 81 Prozent der Westdeutschen bejahen dies.

"Viele Menschen sind stolz auf die Revolution, aber unzufrieden mit dem Erreichten", erklärte der wissenschaftliche Leiter des DDR-Museums, Stefan Wolle, die scheinbar widersprüchlichen Umfrage-Ergebnisse. "Vielen geht es gar nicht mehr um ein analytisches Urteil, sondern um den Wert der eigenen Biographie." Viele ehemalige DDR-Bürger hätten nach der Wiedervereinigung eine "Entwertung ihrer Lebensleistung" erlebt, da alles, was aus der DDR kam, negativ besetzt gewesen sei. In seiner Studie "20 Jahre nach der Friedlichen Revolution in der DDR", in die die Umfrage eingeflossen ist, hat er eine Bilanz der Geschehnisse des Herbstes 1989 gezogen.

Gefahr für die Demokratie

"Es ist erfreulich, dass sich Ost- und Westdeutsche in der Bewertung der Wichtigkeit der Ereignisse von 1989 einig sind", sagte Wolfgang Tiefensee bei der Vorstellung der Umfrage. "Die Ergebnisse zeigen uns aber auch, dass wir in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht nachlassen dürfen." Als Rahmen für die Vorstellung der Umfrage hatte Tiefensee daher die Tagung "Unsere deutsche Einheit" im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin gewählt. Mit dem ehemaligen Bürgerrechtler und Leiter der Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Joachim Gauck, diskutierte er über die Umstände, die schließlich zur Wende führten.

"Wir haben 1989 erlebt, dass sich die Menschen aus eigenem Antrieb aktiviert haben", resümierte Gauck. Zwar sei die Angst vor Stasi und Polizei eine ständige Begleiterin gewesen. "Doch trotz aller Angst wuchs in uns der Wille zur Freiheit." Aus Sicht Wolfgang Tiefensees kehrte sie jedoch zurück. "Die Angst vor denen da oben ist der Angst gewichen, zu denen da unten zu gehören", sagte er. Die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland lege sich wie Mehltau auf die Landschaft, eine tiefe Verunsicherung und Angst um die eigene Existenz veränderten die Gesellschaft. Und Joachim Gauck warnte: "Wir müssen die Spaltung in der ostdeutschen Gesellschaft ernst nehmen. Ansonsten krepiert die Demokratie an Auszehrung."

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