SPD-Experte zur Kriminalstatistik: „Kein Täter darf sich sicher fühlen!“
Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet eine deutliche Zunahme von Straftaten in Deutschland. Aus Sicht des SPD-Innenpolitikers Sebastian Hartmann bleibt Deutschland dennoch „eines der sichersten Länder der Welt“. Trotzdem sieht er Grund zur Sorge.
Sebastian Hartmann
SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann: Die Diskussion über eine Migrationsobergrenze bringt für die Kriminalitätsbekämpfung gar nichts.
Am Dienstag haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Holger Münch die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 vorgestellt. Die Polizei in Deutschland hat demnach im vergangenen Jahr so viele Straftaten registriert wie seit 2016 nicht mehr. Rund 5,9 Millionen Delikte wurden bundesweit erfasst – 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zeigen einen Anstieg der Kriminalität in nahezu allen Bereichen. Wird Deutschland unsicherer?
Nein. Deutschland ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist aber eine Entwicklung in bestimmten Feldern auf. Diese Trends sind Grund zur Sorge und Pflicht zum Gegensteuern. Gleichzeitig darf auch die Aufklärungsquote nicht unterschätzt werden. In Deutschland mit 84 Millionen Einwohnern gab es im vergangenen Jahr 5,9 Millionen Straftaten, eine Zunahme von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit 58,4 Prozent hat sich aber auch die Aufklärungsquote verbessert. Die Botschaft ist deshalb: Kein Täter darf sich sicher fühlen!
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat insbesondere die Zunahme der Gewaltkriminalität um 8,6 Prozent als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet. Welche Ursachen sehen Sie für den Anstieg?
Nicht zu vernachlässigen ist sicher, dass die Corona-Pandemie mit allen ihren Einschränkungen für das gesellschaftliche Leben vorbei ist. Das bedeutet auch eine höhere Mobilität als während der Corona-Jahre. Wir beobachten aber auch seit einigen Jahren eine Enthemmung im öffentlichen Raum. Menschen sind schneller als früher bereit, Gewalt anzuwenden. Nicht umsonst haben die Gewerkschaften schon vor Jahren Respekt-Kampagnen gestartet, um die Beschäftigten vor Übergriffen zu schützen. Ich halte insbesondere die Verlagerung auf jüngere Täter für eine Herausforderung für die Gesellschaft. Das Bundeskriminalamt führt die Zunahme der Kriminalität bei den jungen Menschen auch auf eine größere Bereitschaft zurück, gegen Normen zu verstoßen. Wenn die aber einhergeht mit einer extremen Gewaltbereitschaft, Straftaten oder sich eine kriminelle Karriere andeutet, muss man sofort gegensteuern.
Woran denken Sie dabei?
Das eine ist Prävention und Aufklärung. Wir müssen ein Klima in der Gesellschaft schaffen, in dem Gewalt nicht akzeptabel ist. Zum anderen müssen Straftaten aber auch konsequent und sofort geahndet werden. Insbesondere Straftaten wie Gewalt gegen Einsatzkräfte oder gegen Frauen, oftmals auch in der Partnerschaft, dürfen nicht toleriert werden.
BKA-Chef Holger Münch hat als einen Grund für die gestiegene Kriminalität auch die „wirtschaftliche Belastungssituation“ genannt, Stichwort: Inflation. Ist Armutsbekämpfung auch Kriminalitätsbekämpfung?
Die Bekämpfung von Armut ist ein Gebot gleicher Teilhabe. Mit Kriminalitätsprävention hat das für mich erst mal nichts zu tun. Aber natürlich müssen wir auch die Sozialräume betrachten. Stadtteile, in denen es eine funktionierende Straßenbeleuchtung gibt und funktionierende soziale Strukturen, sind immer sicherer als Bereiche, in denen das Umfeld kaputt ist. Dieser Zusammenhang zwischen dem Verfall von Stadtgebieten und Kriminalität wird sehr treffend mit der „Broken-Windows-Theorie“ beschrieben. Die Entwicklung von Stadtteilen ist deshalb auch immer Kriminalitätsprävention. Klar ist aber auch, dass das Umfeld nicht als Ausrede für kriminelle Handlungen akzeptiert werden darf.
Die Zunahme der Delikte bei Kindern und Jugendlichen wird auch auf die Corona-Zeit zurückgeführt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja. Gerade in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen wurde durch die Corona-Maßnahmen sehr viel Stress ausgelöst, der sich nun auch in der Zahl der verübten Straftaten äußert. Auch das darf keine Entschuldigung sein, aber es kann uns helfen, die Ursachen zu verstehen und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Wir sprechen noch viel zu wenig über die Traumatisierungen derjenigen, die möglicherweise später zu Tätern werden, übrigens auch im digitalen Raum.
Woran denken Sie dabei?
Die Wahrscheinlichkeit, im Cyberraum Opfer zu werden, ist heute ungleich höher als noch vor einigen Jahren. Vor allem Jugendliche sind heute viel stärker mit Cybermobbing konfrontiert. Auch hier kommt es häufig zu strafbaren Handlungen. Daneben nimmt die Anzahl von Betrugsdelikten im digitalen Raum stetig zu. Andere Länder sind da bei der Bekämpfung zum Teil schon weiter.
Vor allem konservative Politiker*innen nehmen die gestiegene Zahl krimineller Handlungen von Menschen ohne deutschen Pass zum Anlass, erneut eine Migrationsobergrenze zu fordern. Hilft die bei der Bekämpfung der Kriminalität weiter?
Jede Statistik wird so gelesen, dass sie eine eigene politische Position bestätigt. Es gibt bei den Menschen nicht deutscher Herkunft deutlich mehr Delikte. Aber wenn man die Zahl der Kriminellen ohne deutschen Pass kritisiert, muss man sich auch ansehen, ob sie proportional zur Zahl der Zugewanderten gestiegen ist. Das ist nicht der Fall. Leider bedient die Union inzwischen wie die AfD vor allem Ressentiments und zersetzt damit den gesellschaftlichen Frieden. Die Forderung nach einer Migrationsobergrenze ist besonders dreist, weil die Union zum einen mit der Politik von Angela Merkel und Horst Seehofer die derzeitige Situation zum großen Teil selbst verantwortet und zum anderen die Kommunen beim Umgang mit den Geflüchteten alleingelassen hat. Die Diskussion über eine Migrationsobergrenze bringt für die Kriminalitätsbekämpfung gar nichts. Sie stärkt nur die Fraktion mit den – statistisch gesehen – besonders häufig kriminellen Abgeordneten im Parlament: die AfD.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
ich finde es bedenklich, in dieses Horn zu blasen, denn
unsere hervorragende Innenministerin Faeser hat doch hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass die Zahlen nicht dramatisch, im langjährigen Mittel sogar eher niedrig sind, und dann auch noch auf die Sondereffekt CORONA zurückzuführen sind. Alles, Ruhi Blut, da wird vom politischen Gegner, von rechts Stimmung gemacht gegen die Einwanderer, die zu uns kommen und uns wegen der Demographie den Allerwertesten retten, um es mal deutlich zu sagen. Also, weiter so, und nicht den Rattenfängern auf den Leim gehen