Fünf Gründe für die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland
imago/Winfried Rothermel
Und dann taucht mal wieder Roland Koch auf. Also zum Glück nur im Kopf, nicht persönlich. Doch die Unterschriftenkampagne des damaligen CDU-Spitzenkandidaten im hessischen Landtagswahlkampf 1999 gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hat für die politische Debatte Maßstäbe gesetzt, in der Union, aber auch innerhalb der deutschen Gesellschaft.
Kaum hat die Ampel-Koalition unter Federführung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ihren Vorschlag für ein geändertes Staatsbürgerschaftsrecht mit schnelleren Einbürgerungen und der grundsätzlichen Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft unterbreitet, schon folgen wie ein Pawlowscher Reflex „Argumente“ und Äußerungen wie: Der deutsche Pass werde verramscht. Von „50-Prozent-Deutschen“ ist die Rede. Man könne nur einem Herren dienen, heißt es. Das Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ im Wahlrecht werde verletzt. Dass diese letzlich von Vorurteilen und rassistischen Denkmustern geprägten Äußerungen größtenteils vollkommen absurd sind, zeigt sich aus mehreren Gründen.
Erstens: Viele doppelte Staatsbürgerschaften sind bereits erlaubt
Erstens behalten bereits jetzt mehr als 60 Prozent der Menschen bei ihrer Einbürgerung neben ihrer deutschen Staatsbürgerschaft auch ihren bisherigen Pass. Das gilt beispielsweise grundsätzlich für alle EU-Bürger*innen, denen Deutschland eine doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Staaten wie zum Beispiel Syrien, Ägypten oder den Iran, bei denen es grundsätzlich nicht möglich ist, den Pass des jeweiligen Landes abzugeben. Ergo behalten auch diese Menschen bei ihrer Einbürgerung neben der deutschen eine weitere Nationalität. Die Internetseite Germany-Visa.org informiert grundlegend darüber, welche Möglichkeiten es gibt, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen.
Zweitens: Andere machen es längst
Zweitens ist die in Deutschland nun beabsichtigte Praxis in anderen europäischen Ländern längst Gang und Gäbe. Nur wenige Länder verbieten die mehrfache Staatsbürgerschaft. Seit den 2000er-Jahren haben viele europäische Staaten ihr Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Relativ gering sind die Hürden der Einbürgerung zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien, Portugal, Polen, Schweden, Finnland und Belgien.
Dort können Einwanderer*innen nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenem Aufenthalt im Land von fünf Jahren einen Antrag auf Einbürgerung stellen – ähnlich wie nun in Deutschland geplant. Wenn sie mit einem Ehepartner oder einer Ehepartnerin zusammenleben, reduziert sich die Frist auf drei Jahre. Sie können außerdem nach der Einbürgerung ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit beibehalten.
Drittens: Das Land wird demokratischer
Drittens ist es mit Blick auf das Wahlrecht bereits jetzt so geregelt, dass zumindest EU-Bürger*innen bei Wahlen auf kommunaler Ebene oder zum EU-Parlament ihre Stimme abgeben dürfen. Für Wahlen auf Landes- und Bundesebene gilt dies jedoch nicht. Das betrifft derzeit mehr als neun Millionen Menschen in Deutschland. Deswegen forderte auch Bundeskanzler Olaf Scholz: „Die Demokratie lebt von der Möglichkeit, mitzubestimmen. So entsteht Legitimität und so wächst Akzeptanz. Deswegen muss uns daran gelegen sein, dass Einwohnerschaft und Wahlvolk nicht auseinander fallen.“
Viertens: Auch Deutsche haben Vorteile
Viertens müssen bislang deutsche Staatsbürger*innen, die aus persönlichen oder beruflichen Gründen die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes beantragen, zum Beispiel wenn sie im Ausland leben, entweder die deutsche Staatsbürgerschaft ablegen oder zumindest einen Antrag auf Beibehaltung zu stellen. Auch das wäre mit der geplanten Reform der Bundesregierung künftig nicht mehr notwendig.
Fünftens: Es gibt keine halben Menschen
Fünftens ist die deutsche Staatsbürgerschaft keine Auszeichnung, zumindest für die meisten hier lebenden Menschen nicht. Sie haben den deutschen Pass einfach mit ihrer Geburt bekommen – logischerweise ohne irgendetwas Nennenswertes dafür geleistet zu haben. Insofern mutet es recht seltsam an, wenn diese Personengruppe nun von anderen ein besonderes Bekenntnis zu Deutschland fordert. Denn das wirft die Frage auf, wann eben jene dieses Bekenntnis geleistet haben. Mit dem ersten Schrei nach der Geburt, der – schwer artikulierbar – so viel wie „Ich bin stolz, ein*e Deutsche*r zu sein“ bedeuten sollte?
Zugleich ist es natürlich gehöriger Unfug, von 50-Prozent-Deutschen zu sprechen. Es gibt keine halben Herzen, keine halben Menschen und keine halben Staatsbürgerschaften. Es wird auch niemanden etwas weggenommen oder entwertet, wenn andere es auch bekommen. Das mag zwar der gefährliche Irrglaube von Konservativen sein, ist aber in der Realität schlicht unzutreffend.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
doppelte Staatsbürgerschaft
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