„Girl on fire“: Warum Sarah Mohamed Juso-Vorsitzende werden will
Sie haben auf Spotify eine Playlist geteilt. Welches davon ist das passende Lied zu Ihrer Kandidatur für den Juso-Bundesvorsitz?
Aus der Playlist gar nichts. Das sind Empfehlungen von Genoss*innen, als ich mal auf Reisen war und ein bisschen Abwechslung brauchte. Das passende Lied zu meiner Kandidatur ist „This girl is on fire“ von Alicia Keys.
Was hat Sie bewogen, zu kandidieren?
Es braucht eine neue Strategie bei den Jusos. Wir haben zuletzt stark in die Partei hineingewirkt. Das hat uns gestärkt und viele Jusos in die Parlamente gebracht. Jetzt ist aber die Zeit, in der wir uns stärker auf den Kampf auf der Straße konzentrieren und in Bündnissen in die Gesellschaft hineinwirken sollten. Es ist wichtig, dass wir Jusos ein aktiverer Teil einer linken aktivistischen Bewegung werden. Da ich selbst, bevor ich zu den Jusos gekommen bin, sehr aktivistisch unterwegs war, glaube ich, dass ich die richtige Frau für die Juso-Spitze bin.
Sie wären die erste Person of Color an der Juso-Spitze. Was bedeutet Ihnen das?
Das bedeutet mir sehr viel. Als ich zu den Jusos gekommen bin, war das nicht immer einfach. Man ist in Räumen, die sehr weiß dominiert sind. Das Thema Antirassismus hatte bei den Jusos damals nicht so eine große Priorität. Ich habe mit anderen BIPoCs und auch anderen solidarischen weißen Genoss*innen viel bewegt und viel verändert. Mich macht stolz, wie viele BIPoCs sich mittlerweile bei den Jusos oder auch in der SPD engagieren, wie sie auch selbstbewusst Räume für sich einnehmen. Der nächste Schritt wäre eine nicht weiße Person an der Spitze der Jusos, insbesondere angesichts dessen, wie viel Hass gegenüber Migrant*innen und nicht weißen Personen gerade in der Gesellschaft geschürt wird.
Sie haben bei Instagram ein Video veröffentlicht, in dem Sie von rassistischen und sexistischen Anfeindungen, Drohungen und Hassnachrichten berichten. Wie gehen Sie damit um?
Traurigerweise muss ich davon ausgehen, dass ich massivem Hass ausgesetzt sein werde, je mehr ich in die Öffentlichkeit gehe. Ich bin froh, dass ich viel Unterstützung und Solidarität erfahre. Trotzdem ist es belastend. Manchmal blicke ich mit Angst auf mein Handy und in die Kommentarspalten, aber ich bleibe trotzdem weiter kämpferisch. Mir zeigt das, wie wichtig meine Kandidatur ist.
Mit Ihnen und Philipp Türmer gibt es zum ersten Mal seit vielen Jahren zwei Kandidierende für den Juso-Bundesvorsitz. Wie gehen Sie damit um?
Als ich zu den Jusos kam, hatte ich mit verkrusteten Strukturen und intransparenten Entscheidungen zu kämpfen. Das ist für junge Menschen nicht mehr zeitgemäß. Mit einem Generationswechsel innerhalb der Jusos ändert sich das jetzt aber. Ein Ergebnis ist, dass Entscheidungen wie die über den Vorsitz auf dem Bundeskongress nun offen ausgetragen werden. Das ist cool und wichtig für den Verband, eine Wahl zu haben. Philipp und ich konzentrieren uns jeweils auf unsere eigene Kandidatur und teilen nicht öffentlich gegeneinander aus. Das halte ich für sehr wichtig. Das stärkt beide Kandidaturen.
Sie kommen aus dem größten Landesverband Nordrhein-Westfalen, der auch die meisten Delegierten auf dem Bundeskongress stellt. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Es ist ein offenes Rennen. Ich rechne damit, dass es knapp wird. Trotzdem bin ich optimistisch, weil ich in diesen Tagen so viel Unterstützung erlebe. Ich spüre viel Rückhalt.
Was tun Sie als erstes, wenn es mit der Wahl zur Juso-Bundesvorsitzenden klappt?
Es geht darum, den Verband zusammenzuführen und sich wieder auf die gemeinsamen inhaltlichen Debatten zu fokussieren. Bald steht der Bundesparteitag der SPD an. Da haben wir Jusos einiges zu sagen und – von links – zu korrigieren. Der Ton zwischen Mutterpartei und Jugendorganisation wird sich stark verändern. Denn in der Migrations- und Asylpolitik will die Ampelregierung rote Linien überschreiten.
Ist das Thema Migration für Sie als Person of Colour besonders wichtig? Oder gehört es einfach zur DNA der Jusos?
Es gehört auf jeden Fall zur DNA der Jusos. Wir kämpfen für eine sozialistische Gesellschaft der Freien und Gleichen und machen dabei keine Ausnahmen. Wir stellen uns konsequent entgegen, wenn Geflüchtete gegängelt und entrechtet werden. Mich macht es persönlich betroffen, weil meine Familie Fluchtgeschichte hat. Mein Vater ist damals als politisch Verfolgter und aufgrund des Bürgerkriegs aus Somalia geflohen.
In Ihrem Kandidaturschreiben steht: „Wir müssen jetzt die Chance nutzen, einen emanzipatorischen Klassenkampf zu führen.“ Was bedeutet das konkret?
Viele junge Menschen erkennen auch aufgrund der Klimakrise immer mehr, dass das kapitalistische System das Potenzial hat, sämtliche Lebensgrundlagen von uns zu zerstören – gleichzeitig wird die Ungleichheit immer größer. Egal ob Black-Lives-Matter-Bewegung, Gewerkschaften, feministische Bündnisse oder Klimabewegung – all diese Gruppen eint, dass sie einen gemeinsamen Kampf führen. Das ist das kapitalistische System und damit auch eine herrschende Klasse, die viele Menschengruppen unterdrückt und ausbeutet. Ich habe den Anspruch, dass wir als linke Bewegung unsere unterschiedlichen Kämpfe, Aktions- und Protestformen so zusammenführen, dass wir gemeinsam das gute Leben für alle möglich machen.
Sie haben angekündigt, die Jusos basisnäher ausrichten zu wollen. Was bedeutet das?
Ich möchte viel vor Ort, immer ansprechbar und nahbar sein. Auch will ich, dass wir mehr über die Ebenen hinweg zusammenarbeiten. Das bedeutet, dass wir uns stärker mit den Landes- und Bezirksspitzen, aber vor allem auch mit den Unterbezirken und Kreisverbänden austauschen und gemeinsam Kampagnen planen und durchziehen. Ich möchte auch mehr Online-Beteiligungsformate schaffen, an denen bundesweit Mitglieder niedrigschwelliger teilnehmen können. Ich werde gemeinsam mit meiner Bundesgeschäftsführerin Teresa eine groß angelegte Mitgliederbefragung durchführen und diese im kommenden Jahr nach der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland wiederholen, um zu sehen, wie erfolgreich wir waren und wo wir noch besser werden können.
Wie wichtig wird das nächste Jahr für die Jusos mit den angesprochenen Wahlen?
Ja, super wichtig. Mit Blick auf die Europawahl wird es ein schwieriger Spagat. Ich habe keinen Bock, bloß euphorisch mit einem Europahoodie rumzuhüpfen. Denn wie Europa jetzt ist, entspricht es nicht unserer Vision von einer Europäischen Union, von einem solidarischen und sozialen Europa, das sich gegen Queerfeindlichkeit und Antifeminismus stellt. Deswegen wird es umso wichtiger sein, dass wir als Jungsozialisten großflächig unsere Vision von Europa zeichnen.
Unser Europa ist kein Europa der Abschottung. Es ist kein Europa, das für ein Massengrab im Mittelmeer oder für Gewalt an unseren EU-Außengrenzen steht. Bei der Europawahl, aber vor allem bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird der Kampf gegen Rechts eine große Rolle spielen. Denn dort könnte laut Umfragen die AfD jeweils stärkste Kraft werden. Das macht mir riesige Angst. Es ist wichtig für uns als Verband, dass wir bei diesen Wahlkämpfen selbst präsent vor Ort sind, dass wir das auch als einen gemeinschaftlichen Kampf verstehen, weil unsere Genoss*innen dort einen antifaschistischen Kampf an vorderster Front führen.
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Die Redaktion hat auch den zweiten Kandidaten für den Juso-Vorsitz, Philipp Türmer, um ein Interview gebeten, bisher aber keine Antwort erhalten.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo