Einwanderung und Weiterbildung: Wie die Ampel Fachkräfte gewinnen will
IMAGO/U. J. Alexander
Wie ist die Fachkräfte-Situation in Deutschland?
630.000 Fachkräfte fehlen zurzeit in Deutschland. „Das heißt, dass es für so viele offene Stellen keine passend qualifizierten Arbeitslosen gibt“, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium auf seiner Internetseite. Insgesamt sind knapp zwei Millionen Stellen unbesetzt, trotz einer Rekordbeschäftigung. Und: Die Situation droht sich noch zu verschlechtern, denn in den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente.
Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) lässt sich dieser Bedarf nicht allein mit Beschäftigten aus Deutschland decken. Aus Sicht der BA müssen jedes Jahr 400.000 Menschen zuwandern, um der älter werdenden Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. „Fachkräftesicherung ist die zentrale Zukunftsaufgabe“, sagt deshalb der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann.
Wie will die Bundesregierung Fachkräfte nach Deutschland locken?
Bereits Ende März haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil einen Gesetzentwurf für die Einwanderung von Fachkräften vorgelegt. Dieser setzt auf drei Möglichkeiten, nach Deutschland zu kommen: Qualifikation, Erfahrung oder Potenzial.
Qualifikation: Wer einen in Deutschland anerkannten Berufs- oder Studienabschluss hat, kann schon heute als Fachkraft einwandern. Künftig können Einwanderer*innen jede qualifizierte Beschäftigung ausüben, unabhängig von ihrem spezifischen Abschluss.
Erfahrung: Künftig darf einwandern, wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung hat und eine berufliche Qualifikation sowie einen Verdienst über einer bestimmten Gehaltsschwelle nachweisen kann. Das Anerkennungsverfahren muss noch nicht abgeschlossen sein, wenn die Fachkraft nach Deutschland kommt.
Potenzial: Eine „Chancenkarte“ soll es auch Menschen ermöglichen nach Deutschland zu kommen, die noch keinen Arbeitsvertrag haben. Grundlage ist ein Punktesystem, das Faktoren wie die Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, das Alter und anderes berücksichtig.
Ziel sei, dass Deutschland „das modernste Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Europäischen Union“, bekomme, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im März, „eines, das sich im weltweiten Vergleich sehen lassen kann und ganz vorne steht“.
Gibt es eine Verbindung zwischen der Fachkräftezuwanderung und dem Recht auf Asyl?
Eine ganz entscheidende Änderung, die die Ampel-Fraktionen vorgenommen haben, ist, dass auch Asylbewerber*innen eine Chance haben sollen, als Fachkräfte in Deutschland bleiben zu können. Diesen „Spurwechsel“ kann vollziehen, wer bereits vor dem 29. März 2023 in Deutschland gewesen ist und ein existenzsicherndes Job-Angebot hat. Ansonsten ist in dem Gesetzentwurf aber eine klare Trennung zwischen Asyl und Arbeitsmigration vorgesehen. Ziel der Ampel-Parteien ist, „mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten zu schaffen und weniger lebensgefährliche Fluchtwege“. Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, stellt deshalb klar: „Dieses Gesetz dient der Ordnung und Steuerung von Zuwanderung.“ Gefördert werde „Zuwanderung in sinnvolle Beschäftigung“.
Können Zuwanderer*innen auch ihre Familien mitbringen?
Auch hier gibt es eine Änderung im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wenn der Lebensunterhalt der Fachkraft gesichert ist, können auch die eigenen Eltern nach Deutschland ziehen. Die Koalitionsfraktionen sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Stabilitätsanker“. Zudem wolle man Fehler der Anwerbeabkommen für Gastarbeiter*innen nicht wiederholen. „Wir wollen, dass die Menschen zu uns kommen“, sagt die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast.
Wie sollen Fachkräfte in Deutschland gewonnen werden?
Neben der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland setzt die Ampel auch darauf, „inländische Potenziale zu mobilisieren“. Beide seien „die zwei Seiten derselben Medaille“, betont Katja Mast. Mithilfe des Aus- und Weiterbildungsgesetzes sollen junge Menschen bei der Suche und dem Beginn einer passenden Ausbildung unterstützt werden. Teil davon ist eine Ausbildungsgarantie: Wer keinen betrieblichen Ausbildungsplatz findet, hat künftig Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung in einem „Kooperationsbetrieb“, ggf. mit sozialpädagogischer Begleitung.
Auch die Weiterbildung von Beschäftigten will die Ampel deutlich unterstützen, damit Arbeitnehmer*innen, deren Arbeitsplatz sich in der Transformation ändern, sich an neue Anforderungen anpassen können. Helfen soll dabei u.a. ein „Qualifizierungsgeld“, das Arbeitnehmer*innen während einer Weiterbildung gezahlt wird. „Es geht darum, jedem Beschäftigten in Deutschland zu sagen: Wir brauchen dich heute, und wir brauchen dich auch morgen. Wir tun alles politisch mögliche, damit du morgen einen genauso gut bezahlten Job hast wie heute, auch im Strukturwandel“, sagt Katja Mast.
Wie geht es nun weiter?
Ziel ist, dass beide Gesetze zum Frühjahr kommenden Jahres in Kraft treten.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.