Deutschland-Pakt: Was Bundeskanzler Olaf Scholz vorschlägt
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Es ist ein Anblick, an dem man sich noch etwas gewöhnen muss: Olaf Scholz mit Augenklappe am Redner*innen-Pult des Bundestags. Doch außer dieses sichtbaren Zeichens lässt sich der Bundeskanzler in der Generaldebatte über den Haushalt für das kommende Jahr von seinem Jogging-Unfall nicht einschränken. Im Gegenteil.
Bevor Scholz zu den Inhalten seines Manuskripts kommt, knöpft er sich die Opposition vor. Die AfD bezeichnet er als „Abbruchkommando für unser Land“, weil sie Grenzen ziehen und den Sozialstaat abbauen wolle. Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU, der Scholz zuvor in seiner Rede ein „paternalistisches Staatsverständnis“ vorgeworfen hat, kontert der Kanzler mit dem Satz: „Sie haben einen merkwürdigen Leistungsträger-Begriff. Der fängt erst bei 100.000 Euro Jahreseinkommen an.“
Scholz: „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung.“
Dann wird Scholz ganz staatsmännisch – und überrascht mit einem Angebot. „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung“, sagt der Bundeskanzler. „Ich möchte Ihnen deshalb einen Pakt vorschlagen: einen Deutschland-Pakt, der unser Land schneller, moderner und sicherer macht.“ Ziel des Paktes müsse sein, dass alle staatlichen Stellen in die Lage versetzt werden, Aufgaben schneller zu erledigen, den Bau von Wohnungen zum Beispiel oder die Genehmigung von Windrädern. „Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei – das ist das Gebot der Stunde“, sagt Scholz.
Sein Angebot richtet der Bundeskanzler an die Länder und Kommunen, aber auch an die „demokratische Opposition“ im Bundestag. „Zu viel ist auf die lange Bank geschoben worden“, hatte Scholz zuvor in Richtung von CDU und CSU gesagt. Nun will er die Parteien dafür gewinnen, das Tempo anzuziehen. Klar ist: Ohne die unionsregierten Länder dürfte das viel zitierte „Deutschland-Tempo“ nicht zu schaffen sein. „Nur gemeinsam werden wir den Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre hinweg auf unser Land gelegt hat“, sagt Scholz und ruft dazu auf: „Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln.“
„Deutschland-Geschwindigkeit“ soll Maßstab werden
Ein Beispiel, wie es gelingen kann, gibt es bereits – und wird auch von Olaf Scholz in seiner Bundestagsrede genannt. Weniger als ein Jahr habe es gedauert, das Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven zu genehmigen, zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Eine zweite Anlage soll Ende dieses Jahres fertiggestellt werden. Damit das auch an anderen Orten gelingt, will Scholz „die Deutschland-Geschwindigkeit zum Maßstab für alle großen Erneuerungsprojekte in unserem Land machen“.
Konkret schlägt Scholz vor, die Kommunikation zwischen Unternehmen, Behörden, Bürger*innen und Umweltverbänden zu beschleunigen und mögliche Konflikte früher zu identifizieren. Auch sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren inklusive der Anhörung von Bürger*innen vollständig digitalisiert werden. Um schneller bauen zu können, soll der digitale Bauantrag bis Ende des Jahres bundesweit umgesetzt sein.
„Es ist den Bürgerinnen und Bürgern schlicht nicht mehr zu erklären, dass sie zwar im Internet einkaufen, Geld überweisen und ihren Urlaub buchen können, aber dass grundlegende Verwaltungsleistungen noch immer nicht überall in Deutschland online möglich sind“, sagt der Bundeskanzler. „Fokus-Dienstleistungen“ wie die Ummeldung des Wohnsitzes oder die Beantragung von Personalausweis und Führerschein sollen deshalb bis Ende kommenden Jahres digital werden.
„Investieren, ohne an der falschen Stelle zu kürzen“
Die Digitalisierung soll auch dabei helfen, Verfahren, die notwendig sind, damit mehr Fachkräfte nach Deutschland einwandern, zu beschleunigen. Sie sind im kürzlich beschlossenen Fachkräfte-Einwanderungsgesetz zwar vorgesehen, müssen aber vor Ort in die Praxis umgesetzt werden. „Deshalb appelliere ich auch hier an die Länder und Kommunen: Kümmern wir uns gemeinsam darum, das von uns beschlossene Fachkräfte-Einwanderungsgesetz kraftvoll umzusetzen.“
Das alles sei „Arbeit im Maschinenraum unseres Staates“, sagt Scholz. „Das Drehen an hunderten von Reglern, um dafür zu sorgen, dass der Tanker Deutschland auf Touren kommt.“ Trotzdem sei diese „Kraftanstrengung“ mit einem ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. „Nach drei außergewöhnlichen Krisenjahren steht der Bundeshaushalt 2024 für die Rückkehr zur Normalität und für einen solide finanzierten Staat“, betont der Kanzler. „Wir investieren, ohne an der falschen Stelle zu kürzen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.