Vor 90 Jahren

2. Mai 1933: Als die Nazis die Gewerkschaften zerschlugen

Kai Doering02. Mai 2023
Besetzung der Arbeiter-Bank in Berlin durch einen SA-Trupp: Anpassung bis zur Selbstaufgabe
Besetzung der Arbeiter-Bank in Berlin durch einen SA-Trupp am 2. Mai 1933: Anpassung bis zur Selbstaufgabe
Mit einer reichsweiten Aktion gehen die Nazis am 2. Mai 1933 gegen die Gewerkschaften vor. Ihre Häuser werden besetzt, ihr Vermögen beschlagnahmt. Es ist die Folge einer fatalen Fehleinschätzung.

Auf die Feier folgt der Schock. Einen Tag nachdem Millionen Arbeitnehmer*innen in Deutschland den 1. Mai gefeiert haben, stürmen am 2. Mai 1933 im gesamten Reichsgebiet Verbände der SA die Büros der Freien Gewerkschaften und verhaften führende Gewerkschafter*innen. Die Vermögen werden beschlagnahmt. Einen Tag später unterwerfen sich die Richtungsgewerkschaften dem Willen der Nationalsozialist*innen. Das Ende der Gewerkschaften für fast 15 Jahre ist besiegelt.

Angst vor dem Bürger*innenkrieg

Wie konnte es soweit kommen? Nach dem Ende des Kaiserreichs gilt die deutsche Gewerkschaftsbewegung als die stärkste der Welt. Doch die Massenarbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise lässt ihre Schlagkraft schwinden. Zum Ende der Weimarer Republik sehen sich die Gewerkschaften von zwei Seiten bedroht, von den Nationalsozialisten auf der einen und den Kommunist*innen auf der anderen.

Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt und den Nazis damit offiziell die Macht übertragen wird, rufen neben der SPD auch die Gewerkschaften zu Demonstrationen auf. Eine „Einheitsfront“ gegen Hitler und einen Generalstreik wie von den Kommunist*innen gefordert lehnen sie jedoch ab. Zu groß ist die Sorge, dass dieser zu einem Bürger*innenkrieg führt, den die Arbeiterschaft aus ihrer Sicht nicht gewinnen würde. „Organisation, nicht Demonstration. Das ist das Gebot der Stunde“, gibt der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), Theodor Leipart, als Parole aus.

Anpassung bis zur Selbstaufgabe

Eine fatale Fehleinschätzung mit weitreichenden Folgen. Denn die Nazis sehen sich durch das zaghafte Vorgehen ermutigt, immer rigoroser gegen die Gewerkschaften vorzugehen. Symbolisch steht hierfür der 1. Mai, den die Nazis zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklären. Um nicht anzuecken und in der Hoffnung verschont zu bleiben, rufen die Gewerkschaften ihre Mitglieder zu Teilnahme auf. Die Quittung folgt einen Tag später mit der Erstürmung der Gewerkschaftshäuser und der Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung.

Die Anpassung bis zur Selbstaufgabe hat die Gewerkschaften nicht gerettet. Die Illusion, auch der Nazi-Staat werde sie brauchen, ist zerplatzt. Tausende Gewerkschafter*innen werden verfolgt und landen im Konzentrationslager. Im Hebst 1934 gründet sich in der damaligen Tschechoslowakei eine Auslandsvertretung der deutschen Gewerkschaften. Mit dem Anschluss ans Deutsche Reich müssen viele Gewerkschafter*innen erneut fliehen. Bis Kriegsende finden sie Schutz in Schweden, der Schweiz und England.

„Schafft die Einheit!“

Auch mithilfe der Exilant*innen kann die Gewerkschaftsbewegung zumindest in der Bundesrepublik schnell wieder erstehen. Die Gewerkschaften haben einen großen Anteil am Wiederaufbau des Landes. Dabei beherzigen sie auch eine wichtige Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus: „Schafft die Einheit!“ wie es der stellvertretende Vorsitzende des ADGB und SPD-Politiker Wilhelm Leuschner kurz vor seiner Hinrichtung im September 1944 als Vermächtnis hinterlässt.

Gedenkveranstaltung des DGB

Der Deutsche Gewerkschaftsbund erinnert mit einer Veranstaltung an die Zerschlagung der Gewerkschaften vor 90 Jahren.

  • 14.00 Uhr: Eröffnung durch Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende
    „Keine starke Demokratie ohne freie Gewerkschaften – keine freien Gewerkschaften ohne starke Demokratie“
  • 14.10 Uhr: Grußwort von Heribert Prantl
    „Die Arbeit an einem starken demokratischen Gemeinwesen – eine politische und gesellschaftliche Daueraufgabe“
  • 14.25 Uhr: Diskussionsrunde moderiert von Katja Karger, Vorsitzende DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg mit:
    • Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende
    • Heribert Prantl, Journalist und Autor
    • Kristina Meyer, Historikerin, Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung
    • Jennifer Otto, Vorsitzende JUNGE GRUPPE, Gewerkschaft der Polizei (GdP)
    • Lizaveta Merliak, Salidarnast (gemeinnütziger Verein belarussischer Exil-Gewerkschafter*innen)

Die Veranstaltung wird im Livestream übertragen.

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Kommentare

Wie konnte es soweit kommen?

Vor allem die schwache Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 mit der starken Stellung des Reichspräsidenten und den Notverordnungen ermöglichte der NS-Bewegung den legalen Aufstieg und das legale Verbot der Gewerkschaften.

Die Gewerkschafter konnten sich ja nicht gegen Recht und Gesetz wenden und sich damit ins Unrecht begeben. Als Nur-Gewerkschafter wollte bspw. Theodor Leipart keine Parteipolitik machen. Und bis man den wahren Charakter der NS-Bewegung erkannte, dauerte es noch Jahre.

Heute ist es in einigen Kreisen wohl wieder so, dass man noch nicht einmal den wirklichen Charakter des einstigen Nationalsozialismuses erkennen will.

Grob fahrlässig werden bspw. Personen als 'Nazis' bezeichnet, die weder eine faschistische Herrschaft errichten wollen noch können, die aber manch anderem einfach nur nicht in den Kram passen.

2. Mai 2014: Massaker von Nazis an Gewerkschaftern in Odessa

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