Wie eine Leistungssportlerin zur Kämpferin gegen Armut wird
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Mit neun Jahren war sie Stadtmeisterin im Judo, mit 15 Mitglied der Jugendnationalmannschaft. Viele Jahre hat sie in der Bundesliga gekämpft, schließlich in der Frauennationalmannschaft. Parallel dazu hat sie Trainerscheine gemacht, auch als Judolehrerin. Dann unterrichtet Michaela Engelmeier als gelernte Erzieherin in Schulen, darunter auch Förderschulen für Kinder mit geistigen Beeinträchtigungen und für soziale und emotionale Entwicklung. „Verbunden mit der Philosophie der Fairness ist Judo für Kinder, die in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt sind, die richtige Sportart“, sagt sie heute rückblickend. Mit Hilfe des Judos lasse sich respektvolles Miteinander erlernen, gleichzeitig helfe es den Kindern, sich zu spüren. „Das war mein Lieblingsjob, weil ich gemerkt habe, dass ich die Kinder damit gekriegt habe“, erinnert sie sich.
Engelmeier: „Armut ist gruselig“
Seit September ist Michaela Engelmeier Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). „Hier geht’s weiter mit dem Kampf“, sagt sie lachend. Der Verband will den wirtschaftlich und finanziell Benachteiligten eine Stimme geben. Und Michaela Engelmeier möchte gerne diese laute und auch energische Stimme sein. 20 Prozent der Kinder in unserem Land leben in Armut, sagt sie. „Ich setze darauf, dass wir die Kindergrundsicherung hinbekommen, und zwar möglichst bald.“ Kinder- aber auch Altersarmut, gerade bei Frauen, werden zentrale Themen ihrer neuen Arbeit als Vorstand sein, kündigt sie an. „Damit will ich mich nicht abfinden, Armut ist gruselig.“
Und zurzeit deutlich spürbar. Der Andrang auf die vom SoVD angebotenen Sozialrechtsberatungen ist groß. „Unsere Mitglieder haben Angst vor dem Winter, davor, dass sie ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können oder ihren Einkauf am Wochenende“, berichtet sie.
Für mehr soziale Gerechtigkeit
Umso mehr ärgert sich Engelmeier über die unselige Debatte darüber, ob 53 Euro mehr im Monat beim Bürgergeld Menschen dazu verleiten könnten, sich in die soziale Hängematte zu legen. Eine „ganz schäbige Diskussion“, findet sie. Denn auch der ab Januar 2023 geltende Regelsatz von 502 Euro reiche nicht, um die Armutsgrenze zu überwinden. Eigentlich müsste das Bürgergeld auf 650 Euro erhöht werden, so fordert es ihr Verband. Und auch beim 49-Euro-Ticket hat sie eine eigene Meinung. „Das ist zu teuer, das können sich sehr viele gar nicht leisten.“
Der SoVD fordert ein Sozialticket in Höhe von 29 Euro. Gleichzeitig freut sich Engelmeier, die von 2013 bis 2017 als Abgeordnete für die SPD im Deutschen Bundestag saß, dass sie als Vertreterin des Verbandes bei Anhörungen künftig Einfluss nehmen kann. So habe sie bei der Anhörung über die Energiepreispauschale mit anderen dazu beitragen können, dass auch Rentnerinnen und Rentner die Pauschale erhalten.
Mit inklusivem Sport zum Ziel
Rentner*innen, Arbeitnehmer*innen, aber auch Studierende, rund 600.000 Mitglieder zählt der SoVD. Er gehört zu den ältesten sozialpolitischen Verbänden in Deutschland, gegründet vor mehr als 100 Jahren als Kriegsopferverband in Berlin. Aus dieser Tradition heraus liegt ein Schwerpunkt der Arbeit bei Menschen mit Behinderungen. Schon seit mehreren Jahren findet einmal jährlich der sogenannte SoVD-Inklusionslauf statt. Im kommenden Jahr soll er Teil der Special Olympics World Games werden, die im Juni 2023 in Berlin stattfinden werden.
Mit dem inklusiven Sport wolle man neue Wege gehen, sagt die ehemalige sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. „Mir schweben auch Sozialpartnerschaften mit größeren Sportvereinen vor, z.B. mit Fußball-Bundesligisten. Unser niedersächsischer Landesverband hat eine Zusammenarbeit mit den Handballern des Bundesligisten „Die Recken“ der Turn- und Sportvereinigung TSV Hannover-Burgdorf bereits umgesetzt.“
Sozialgipfel geplant
Auch als erste Vorstandsvorsitzende des SoVD will Engelmeier neue Wege gehen. „Wir strukturieren uns gerade um“, erklärt sie. Bisher sei der Verband rein ehrenamtlich aktiv gewesen, künftig soll er, so die außerordentliche Verbandstagung im kommenden März dem zustimmt, einen hauptamtlichen Vorstand haben. 12 Jahre lang war Michaela Engelmeier Mitglied im SPD-Parteivorstand, jetzt wichtige Kontakte für ihre neuen Aufgaben. Ein Bündnis habe sie bereits geschmiedet. Gemeinsam mit dem Sozialverband VdK, den Tafeln in Deutschland und dem Deutschen Mieterbund möchte sie gerne einen Sozialgipfel mit dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz veranstalten.
Man müsse finanziell schwachen Menschen mehr Gehör verschaffen für ihre Sorgen, bevor ihre Not von anderen ausgenutzt werde, ist sie überzeugt. „Die Rechtsextremen warten ja nur darauf, dass es eine Krise nach der anderen gibt, um aus den Nöten der Menschen Profit für sich zu ziehen und unser Land weiter zu spalten.“ Dem will Engelmeier u.a. mit einem jährlichen Gespräch über Sozialpolitik entgegenwirken. Denn sie ist überzeugt, dass man Menschen, die sich abgehängt fühlen, für die Demokratie zurückgewinnen kann. „Auch deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es wieder mehr Vertrauen in unsere sozialen Sicherungssysteme gibt.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.