Wegen Corona: Neuer Höchststand bei Armut in Deutschland
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Mit 16,1 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Das ist das Ergebnis des Paritätischen Armutsberichts, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Zugleich lobte deren Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld als wirksames Instrument zur Armutsbekämpfung. „Das bewahrte viele Menschen vor dem Fall in die Armut“, sagte Schneider bei der Vorstellung des Berichts in der Bundespressekonferenz. Dennoch gebe es klare Corona-Verlierer*innen, zu denen vor allem Selbsständige zählten.
Schneider wies zudem darauf hin, dass arme Menschen ein höheres Risiko hätten, an Corona zu erkranken: Sie seien häufiger darauf angewiesen, den ÖPNV zu nutzen, lebten in beengteren Wohnverhältnissen und seien insgesamt in einer schlechteren gesundheitlichen Verfassung. Doch auch allgemeine Corona-Folgen beträfen arme Menschen häufiger. „Kinder in beengten Wohnverhältnissen ohne gescheite Digitalausstattung sind ohne Chance“, drückte sich Schneider drastisch aus. Es gäbe inzwischen eine sechsstellige Zahl von Schulabbrecher*innen, weil viele im Home Schooling nicht mitkämen.
Starkes Nord-Süd-Gefälle bei der Armutsentwicklung
Innerhalb Deutschlands gebe es einen Wohlstandsgraben, der sich „verfestigt, wenn nicht vertieft“ habe zwischen den beiden südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg sowie dem Rest der Republik. Der Süden mit einer Armutsquote von rund zwölf Prozent und der Rest der Republik mit einer Quote von knapp 18 Prozent entwickelten sich zunehmend auseinander. Besonders drastisch sei der Vergleich zwischen Spitzenreiter Bayern (11,6 Prozent) und Schlusslicht Bremen (28,4 Prozent). „Das hat mit annähernd gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland nichts mehr zu tun, Deutschland ist nicht nur sozial, sondern auch regional ein tief gespaltenes Land und die Gräben werden tiefer“, resümierte Schneider.
Lob fand er hingegen für eine Reihe von Vorhaben im Ampel-Koalitionsvertrag, die geeignet sein könnten, Armut zu bekämpfen. Dazu zählt er die Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro, die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent sowie Verbesserungen bei Bafög, Wohngeld und der Erwerbsminderungsrente. Als armutspolitischen Durchbruch nannte er zudem die Festschreibung der Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag. Kritisch fügte er jedoch an: „Kardinalfehler ist der Ausschluss jeglicher Steuererhöhungen, Deutschland braucht eine wesentlich stärkere steuerliche Belastung höherer Einkommen, zur Sicherung unserer Daseinsvorsorge.“
Schmidt: Kinderarmut mit Kindergrundsicherung bekämpfen
Auch für Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, zeigt sich, dass immer noch Kinder aus einkommensschwachen Haushalten am meisten unter der Pandemie leiden. „Deshalb ist es richtig, dass wir mit als erste Maßnahme der neuen Bundesregierung diese Familien mit einem Sofortzuschlag unterstützen. Mit der Kindergrundsicherung werden wir Kinderarmut bekämpfen, mehr Chancengleichheit schaffen und die Absicherung von Familien verbessern“, kommentierte die hessische SPD-Bundestagsabgeordnete den Armutsbericht. Zudem werde es einen einmaligen Heizkostenzuschlag für Wohngeldempfänger*innen geben.
Damit knüpfe die Ampel an Maßnahmen an, die bereits von der vorherigen Bundesregierung auf Betreiben der SPD umgesetzt worden seien. Beispielhaft nannte Schmidt die Stärkung des Kurzarbeitergeldes, den erleichterten Zugang zur Grundsicherung und das Aufholpaket für Kinder, Jugendliche und ihre Familien, die den Menschen eine Brücke über den Zeitraum der Pandemie gebaut hätten.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo