Wahlfrau der SPD Sachsen: Von Aldi in die Bundesversammlung
Wenn Ina Taute-Hässelbarth eine Aldi-Filiale betritt, lautet ihre erste Frage im Moment meistens: „Seid ihr alle gesund?“ Als Betriebsratsvorsitzende ist sie für rund 1.200 Mitarbeiter*innen in 105 Verkaufsstellen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg zuständig. Etwa 200 Kolleg*innen kommen in Lager bei Leipzig dazu. „Ich kenne 85 Prozent der Kollegen persönlich, ihre Familie inklusive“, erzählt die 54-Jährige.
Verkäuferin in der DDR gelernt
Seit 28 Jahren arbeitet sie für Aldi, erinnert sich noch gut daran, wie sie innerhalb von zwei Wochen die Zahlencodes für alle Produkte auswendig lernen musste, um sie in die Kasse einzugeben. Scannerkassen gab es damals noch nicht. Verkäuferin gelernt hatte Taute-Hässelbarth noch in der DDR. Bei Aldi begann sie als Verkäuferin, war Filialleiterin. Seit 1997 ist sie Betriebsrätin, seit 2006 freigestellte Betriebsratsvorsitzende. Den Beruf kennt sie von der Pike auf – und auch die Probleme der Kolleg*innen.
Vor Corona sei Stress das Hauptthema gewesen. 20 Minuten hätten die Mitarbeiter*innen in der Filiale, um eine Palette mit neuer Ware abzuladen, egal ob diese groß und schwer sei oder klein und unhandlich. „Wenn man bei einer Palette länger braucht, muss man das bei einer anderen wieder reinholen“, erzählt Taute-Hässelbart. Zwischendurch klingelten immer wieder die Kolleg*innen, wenn schnell eine Kasse besetzt werden muss. „Viele haben ein falsches Bild von unserem Beruf“, hat Ina Taute-Hässelbarth beobachtet. Sie selbst hat aber nie bedauert, ihn ergriffen zu haben. „Ich mache den Job aus Berufung“, sagt sie.
Keine Angst vor Auseinandersetzungen
Dasselbe gilt auch für die „Nebenjobs“, die Taute-Hässelbarth hat: Seit 2007 ist sie ehrenamtliche Prüferin in der Prüfungskommission der Industrie- und Handelskammer in Leipzig. Im selben Jahre begann sie auch als ehrenamtliche Richterin am Sozialgericht Leipzig. Seit 2014 ist sie auch am Landessozialgericht in Chemnitz tätig. „Ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“, sagt Ina Taute-Hässelbarth dazu.
Und sie fürchtet sich nicht vor Auseinandersetzungen. Als Ende vergangenen Jahres in Sachsen eine FFP2-Maskenpflicht für Kund*innen im Handel eingeführt wurde, wollte die Bereichsleitung die Aldi-Mitarbeiter*innen verpflichten, ebenfalls diese Masken zu tragen, während der gesamten Schicht. Eine Zumutung wie Taute-Hässelbarth fand. Sie ging auf die Barrikaden. Nun müssen die Kolleg*innen lediglich OP-Masken tragen.
Worüber sie im Bundestag sprechen würde
Bei einem anderen Konflikt lernte die Betriebsrätin 2020 den damaligen Generalsekretär und heutigen Co-Vorsitzenden der sächsischen SPD Henning Homann kennen. Damals ging es um die Ladenöffnungszeiten zu Silvester und Taute-Hässelbarth nahm an einer Anhörung im Landtag teil. Dabei hinterließ sie offenbar Eindruck bei Homann. Zumindest rief er sie im November vergangenen Jahres an, um sie zur fragen, ob sie an der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten teilnehmen wolle.
Ina Taute-Hässelbarth wollte. „Das ist eine große Ehre für mich“, sagt die Betriebsrätin. Das sehen auch andere so. „Endlich wird deine Arbeit mal gewürdigt“, habe ihre älteste Tochter zu ihr gesagt. Und auch die Kolleg*inne würden sich mit ihr freuen. Frank-Walter Steinmeier hält Taute-Hässelbarth für einen „soliden Politiker“, der „parteiübergreifend agiert“. Das sei auch nötig, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Und auch wenn sie selbst nicht unbedingt in die Politik strebt: Eine Rede im Bundestag würde Ina Taute-Hässelbarth gerne mal halten. Darin ginge es dann um das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Das nämlich erlaubt es u.a., dass bei Aldi die meisten Beschäftigten nur Arbeitsverträge über 23 Stunden hätten, in der Wirklichkeit aber viele Überstunden schieben würden. „Da muss sich dringend etwas ändern“, ist die Betriebsratsvorsitzende sicher. Überhaupt fände sie es sinnvoll, wenn Gesetze öfter mal überprüft und an neue Entwicklungen angepasst würden. „Die Politiker sollten da öfter mal die Meinung aus dem Volk einholen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.