Soziale Politik

Steigende Preise: Was Familien jetzt brauchen

Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine und steigende Preise: Familien sind in permanentem Stress, sagt die Vorsitzende des Zukunftsforums Familie, Britta Altenkamp. Sie fordert eine bessere Unterstützung des Staates – und mehr Umverteilung.
von Kai Doering · 26. Oktober 2022
Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg: Familien sind in permanentem Stress, sagt Britta Altenkamp, die Vorsitzende des Zukunftsforums Familie.
Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg: Familien sind in permanentem Stress, sagt Britta Altenkamp, die Vorsitzende des Zukunftsforums Familie.

„Familie ist da, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen“, lautet das Motto des Zukunftsforums Familie (ZFF). Vor 20 Jahren wurde es gegründet. Ist Familienpolitik in dieser Zeit Ihrem Motto gerechter geworden?

Familienpolitik hat zumindest an Bedeutung gewonnen. Vor 20 Jahren galt sie ja vielen eher als „Gedöns“, weil Familie etwas Privates sei, aus dem sich der Staat besser heraushält. Für viele waren Familien- und Frauenpolitik auch dasselbe. In der AWO gab es zum Glück ein anderes Verständnis, was schließlich im Oktober 2002 zur Gründung des Zukunftsforums Familie führte. Inzwischen ist das Verständnis von Familienpolitik zum Glück insgesamt deutlich breiter und es ist jedem klar, dass sie etwa auch großen Einfluss auf das Leben von Männern hat. Der Vertrag der Ampel ist so auch der erste Koalitionsvertrag, der einem deutlich breiteren Familienverständnis Rechnung trägt.

In den 20 Jahren, in denen es das ZFF bereits gibt, hat sich in der Familienpolitik eine Menge verändert. Die Elternzeit wurde eingeführt und ausgebaut, erst vor kurzem der Paragraf 219a abgeschafft. Was ist aus Ihrer Sicht die größte Errungenschaft dieser zwei Jahrzehnte?

Das ist für mich gar keine einzelne Maßnahme, sondern vor allem die Wahrnehmung von Familie und der breite Familienbegriff, der sich in dieser Zeit durch politische Entscheidungen etabliert hat. Es geht eben nicht nur um Kinderbetreuung, sondern auch um Pflege und Sorge für Eltern oder pflegebedürftige Partner. Zudem beziehen wir Alleinerziehende oder Regenbogenfamilien mit ein, wenn wir Familie sagen. Das ist heute politischer Konsens und lässt sich nicht nur am Koalitionsvertrag, sondern auch an den Wahlprogrammen aller Parteien ablesen, natürlich mit Nuancen. Dennoch bleibt weiterhin viel zu tun!

Ist diese Veränderung auch in der Gesellschaft sichtbar?

Ja, wir merken deutlich, dass sich gesellschaftlich etwas verändert. Wenn Familienpolitik gut gemacht wird, ist sie auch ein wichtiger Baustein, um die demokratische Gesellschaft zu erhalten. Familie ist heute zum einen ein Rückzugsort, zum anderen aber auch ein gesellschaftspolitischer Raum. Wenn die Absicherung von Familien Priorität hat und Kindern so ein Aufwachsen in einem sicheren und stabilen Umfeld ermöglicht wird, ist das das beste Fundament für eine gelingende demokratische Gesellschaft.

Familien haben erst in der Corona-Pandemie stark gelitten. Nun sind sie drastisch steigenden Preisen ausgeliefert. Was bedeutet das für sie?

Zuallererst eine sehr große Verunsicherung. Nach der Pandemie, die ja eigentlich auch noch gar nicht vorbei ist, haben Familien erstmal das Bedürfnis gehabt, durchzuatmen. Dazu gab es aber keine Gelegenheit, denn am 24. Februar überfiel Russland die Ukraine. Dieser Krieg in Europa löst Sorgen und Ängste aus. Die damit verbundenen steigenden Preise setzen Familien mit kleinen und mittleren Einkommen nun zusätzlich unter Druck. Am Ende des Geldes ist für viele noch ganz schön viel Monat übrig. Familien sind so permanent im Stress, was sich auch im täglichen Miteinander bemerkbar macht. Für ein Aufwachsen in Geborgenheit ist das nicht gerade zuträglich.

Gerade für Familien hat die Bundesregierung bereits einiges an Entlastungen auf den Weg gebracht. Reicht das aus, um ihnen eine Atempause zu verschaffen?

Gerade in der Krise sollte der Staat dafür sorgen, dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Das Geld dafür ist da, es muss nur anders verteilt werden. Vermögende sollten einen Beitrag leisten, damit die Gesellschaft insgesamt gut durch diese Zeit kommt. Auch die Übergewinnsteuer muss kommen, damit nicht die Schwächsten die Zeche zahlen, während Unternehmen satte Gewinne einfahren. Staat einer Unterstützung per Gießkanne brauchen wir mehr gezielte Hilfen, besonders für Familien.

Geht es denn tatsächlich nur um mehr Geld?

Nein. Familien brauche auch eine vernünftige Betreuungsinfrastruktur und Unterstützung, um das in der Corona-Pandemie Verpasste aufzuholen. Leider sind die sogenannten Aufholpakete hier unzureichend. Viele Gelder wurden gar nicht erst abgerufen, weil die Beantragung zu kompliziert und die Maßnahmen nicht zielgerichtet genug waren. Viele Kinder hatten z.B. seit langem keine richtigen Ferien. Sie empfinden deshalb vielfach sozialen Stress. Das hätte in den Aufholpaketen viel stärker berücksichtigt werden müssen.

Im kommenden Jahr soll endlich die Kindergrundsicherung eingeführt werden, für die sich auch das ZFF seit langem stark macht. Was wird sich damit ändern?

Vom derzeitigen Sozialleistungssystem profitieren Familien mit einem guten Einkommen am meisten. Das ist ein Fehler im System. Die Kindergrundsicherung wird deshalb eine einkommensabhängige Leistung sein, die automatisch, also ohne Antrag, ausgezahlt wird. Es sind zwei ganz wichtige Aspekte, die Kinderarmut effektiv bekämpfen wird: Entscheidend wird sein, dass die Kindergrundsicherung den Eltern ohne Barrieren zur Verfügung gestellt wird. Und es ist natürlich klar, dass die Höhe stimmen muss. Dass Familien auch darüber hinaus Unterstützung brauchen, ist damit aber nicht erledigt.

Sie haben pflegende Angehörige bereits angesprochen. Wird das das nächste große Thema in der Familienpolitik?

Pflege von Angehörigen ist bereits ein Riesenthema, auch wenn es von vielen noch nicht so wahrgenommen wird. Viele Unternehmen sind überrascht, wenn sie erfahren, wieviele ihre Beschäftigten nebenbei Angehörige pflegen. Auch hier geht es letztlich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ebenso wie bei der Kinderbetreuung. Das Zukunftsforum Familie wird das gemeinsam mit der AWO im kommenden Jahr stärker in den Fokus rücken. Leider wurde die Reform der Pflegeversicherung in der vergangenen Legislatur auf halber Strecke liegen gelassen. Das droht uns jetzt auf die Füße zu fallen.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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