Soziale Politik

Lauterbach kritisiert Versagen der EU im globalen Kampf gegen Pandemie

Wie sinnvoll ist eine Impfung von Kindern? Ist die Pandemie vorbei, wenn Deutschland Herdenimmunität erreicht? Wann können Clubs wieder öffnen? SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat sich im Gespräch den Fragen unserer Leser*innen gestellt.
von Benedikt Dittrich · 1. Juni 2021
Karl Lauterbach im Gespräch mit dem „vorwärts".
Karl Lauterbach im Gespräch mit dem „vorwärts".

Die Infektionszahlen sinken, die Pandemie-Situation in Deutschland entspannt sich und „der Sommer wird gut“, das wiederholte Karl Lauterbach am Montag im Gespräch mit dem „vorwärts“. Im Instagram-Live ging der SPD-Gesundheitsexperte aber auch auf zahlreiche Fragen ein, die viele Menschen weiterhin umtreiben – von Impfungen für Kinder über mögliche Corona-Komplikationen bis hin zu der Frage: Wann ist die Pandemie endlich vorbei, wann in Innenräumen wieder gefeiert werden kann – und welche Lehren sollten wir aus der Pandemie für die Zukunft ziehen?

„Würde auch meine eigene Tochter impfen“

Vor wenigen Tagen befürwortete die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) eine Zulassung für den Biontech-Impfstoff für Kinder ab zwölf Jahren. Damit ist es der erste Impfstoff, der auch für Jugendliche unter 16 Jahren zugelassen ist, eine Zusage der ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland steht allerdings noch aus. „Ich persönlich empfehle die Impfung von Kinder und Jugendlichen mit dem Impfstoff“, sagte Karl Lauterbach im Gespräch, „weil ich von der Studienlage überzeugt bin“. Die Impfung sei bei dem Nachwuchs sehr wirksam, das Risiko von gravierenden Nebenwirkungen hält Lauterbach für sehr gering.

Außerdem warnte er vor dem Infektionsrisiko im neuen Schuljahr. „Wenn Kinder nicht geimpft sind und die Schule beginnt wieder im Klassenraum, ohne Maske, ohne Abstände und ohne regelmäßiges Lüften, in Vollbesetzung“, erklärt Lauterbach, „dann gehe ich davon aus, dass sich dann ein Großteil der Kinder, die nicht geimpft sind, infizieren können“. Das sei ein Risiko für die Kinder selbst aber auch für den Unterricht an sich: „Dann sind vielleicht erneut Schulausfälle zu beklagen.“ Die Sorgen nimmt Lauterbach allerdings auch ernst: „Das kann man anders sehen, ich verstehe die anderen Argumente", sagte er und erwähnte auch, dass die Studienlage noch dünn sei. „Meine eigene Tochter würde ich aber auch impfen lassen.“

Immunität: Lieber durch Impfung statt durch Erkrankung

Neuer Impfstoff, unbekannte Langzeitwirkungen, schnelle Zulassungsverfahren – all die Bedenken bezüglich der Corona-Impfstoffe will Karl Lauterbach mit einer einfachen Überlegung zerstreuen: „All die bekannten Komplikationen durch die Impfung, auch die gefährlichen Thrombosen, sind sehr viel wahrscheinlicher, wenn ich erkranke.“ Deswegen sei das Gesundheitsrisiko für diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, viel höher. Spätestens wenn die Einschränkungen nach und nach zurückgenommen werden, das Infektionsrisiko im Alltag also wieder steigt. „Das Risiko wäre mir zu hoch im Vergleich zu den denkbaren, seltenen Schäden durch eine Impfung.“

Außerdem kann Lauterbach mit Blick auf andere Impfungen beruhigen: „Die meisten Impfschäden, die es gibt, kommen sehr früh. Die hätten wir bei den hunderten Millionen Impfungen, die wir inzwischen haben, schon gesehen.“

Ohne globale Immunität kein Ende der Pandemie

Allerdings: Karl Lauterbach erinnerte auch daran, dass die Impfkampagne global gesehen wesentlich schlechter verläuft als hierzulande. Und das habe auch Auswirkungen auf die Situation in Deutschland und Europa: „Die Pandemie ist erst vorbei, wenn in den anderen Ländern die Pandemie vorbei ist“, sagte er. „Sie wird in diesem Jahr nicht enden.“ Lauterbach geht davon aus, dass bis zum Jahresende immer noch rund fünf Milliarden Menschen auf der Welt nicht geimpft sein werden.

„Wir haben viel zu wenig dafür gemacht, dass ärmere Länder genug Impfstoff bekommen“, kritiserte er fehlende internationale Bemühungen. Für Lauterbach ein „historisches Versagen“. In Europa habe man nicht dafür gesorgt, dass für die eigene Bevölkerung genug Impfstoff schnell produziert wurde. Das kreidet er vor allem den europäischen Verträgen mit den Unternehmen an – man sei nur als Kunde aufgetreten, habe sich um den Aufbau von Produktionskapazitäten aber nicht gekümmert.

Infektionen auch bei Herdenimmunität

Das viel größere Versagen sieht Lauterbach allerdings in der Versorgung der ärmeren Länder: „Da haben wir wenig bis gar nichts gemacht.“ Deswegen sei die Pandemie nicht vorbei, selbst wenn Deutschland Herdenimmunität erreiche, also rund 80 Prozent der Menschen geimpft seien. Hinzu kommt: Auch bei Herdenimmunität würden sich ungeimpfte Menschen weiterhin infizieren und krank werden, mahnte der Sozialdemokrat. Nur würden die Infektionszahlen zwar nicht mehr exponentiell steigen. „Die 20 Prozent, die nicht geimpft sind, werden nicht verschont. Das ist ein Missverständnis.“

Im Herbst könnten allerdings aus Sicht von Lauterbach Clubs in Deutschland möglicherweise wieder komplett öffnen. „Das setzt aber voraus: getestet, geimpft oder genesen“, mahnt er. Ohne diese Voraussetzungen könne schon eine einzelne kranke Person, die ungetestet in den Club kommt, alle anderen Personen infizieren, die zwar getestet, aber noch ungeschützt sind.

Nach Corona: Mehr Prävention, bessere Pflege

Trotz allem lassen sich jetzt bereits Lehren aus dem Kampf gegen die Pandemie ziehen, meint Karl Lauterbach: „Auf jeden Fall lernen wir, dass wir Pflege besser bezahlen müssen und mehr Pflegekräfte brauchen.“ Das setze auch bessere Arbeitsbedingungen voraus. „Wir müssen uns auf die nächste Pandemie besser vorbereiten“, forderte der Rheinländer mit Blick auf Schutzausrüstungen, Impf-Infrastruktur und die Produktionskapazitäten für die Vakzine. Auch eine Arbeitsgruppe, um den Verlauf von Pandemien künftig besser zu modellieren, also vorherzusagen, hält Lauterbach für sinnvoll.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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