Soziale Politik

Kohleausstieg vor 2038: Warum der Weg wichtiger als das Datum ist

2038 ist Schluss mit der Kohle in Deutschland, spätestens. Doch noch wird über Ziele, Alternativen und den künftigen Strombedarf gestritten. Für die SPD ist die Frage nach dem „Wie“ aber wichtiger als das „Wann“. Und das hat gute Gründe.
von Benedikt Dittrich · 1. September 2021
Das Kohlekraftwerk Boxberg vor dem Tagebau Reichwalde in der Lausitz.
Das Kohlekraftwerk Boxberg vor dem Tagebau Reichwalde in der Lausitz.

Deutschland muss sich auf den Weg in eine klimaneutrale Zukunft machen – das ist ein Konsens, der von allen demokratischen Parteien im Bundestag geteilt wird. Ein wichtiger Baustein dafür ist der Abschied von fossilen Energieträgern. Kohle, Gas, Erdöl sollen aus allen Bereichen verschwinden – von der Stromerzeugung über die Industrie bis hin zur Heizung in den eigenen vier Wänden.

Deswegen stehen gesellschaftlich große Veränderungen an. Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen und qua Amt auch Mitglied im Aufsichtsrat von Volkswagen, spricht gegenüber dem „vorwärts“ von einem „gigantischen Umbauprozess in Richtung Elektromobilität“, der sich auch am Heimatort des VW-Konzerns in Wolfsburg vollzieht. „Tausende Menschen werden sich auf neuen Arbeitsplätzen wiederfinden“, erklärt Weil. Früher am Band, jetzt am PC – und es gehe den Menschen gut damit, ist der Sozialdemokrat überzeugt.

Es ist nur der Blick auf einen Bereich der deutschen Wirtschaft – und er zeigt doch, wie groß die Herausforderung ist, die auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz immer wieder betont. Von der „größten Herausforderung seit der Industrialisierung“ ist im Bundestagswahlkampf immer wieder die Rede. Bei einer Veranstaltung der Klima-Allianz sprach Scholz in der Diskussion mit den anderen Parteien unter anderem über die Möglichkeit, früher als 2038 aus der Kohle auszusteigen.

Doch das Ausstiegsdatum aus der Kohleverstromung ist für ihn gar nicht entscheidend. Vielmehr geht es Scholz – und auch Weil – um die Rahmenbedingungen, um die gesteckten Klima-Ziele überhaupt erreichen zu können. Entscheident ist für Scholz dabei der Ausbau der Erneuerbaren Energien. „Ich will, dass die Kapazitäten stehen“, sagt er mit Blick auf den prognostizierten steigenden Strombedarf in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Ähnliches sagt auch Stephan Weil im Insta-Live-Gespräch mit dem „vorwärts“ : Viel habe man über Ziele geredet, moniert der Niedersachse, „aber das ist der leichteste Teil“.

Es wird noch viel mehr Strom benötigt

Denn: Elektromobilität, grüner Wasserstoff, klimaneutrale Heizung – all das benötigt am Ende Strom aus Erneuerbaren Energien. „Gigantisch“ sei der Energiebedarf, betont Scholz daher. In der Debatte streitet er deswegen auch bei der Klima-Allianz über den Ausbau von Windkraft- und Solarstrom sowie die nötigen Stromleitungen, die quer durch Deutschland gebaut werden müssen. Dafür müssten Genehmigungsverfahren beschleunigt, Flächen ausgewiesen werden. „Ich will das schaffen“, sagt Scholz, „und dann werden wir früher fertig.“

Statt mehrerer Jahre sollen künftig binnen Monaten Baugenehmigungen für neue Windkraftanlagen vorliegen, fordert er unter anderem. Ein Punkt, den auch Weil anspricht – nicht ohne dabei den Bremser in der Regierung beim Namen zu nennen: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): „Ohne den Ausbau der Erneuerbaren wird man keinen Klimaschutz schaffen.“ CDU/CSU aber würden auf der Bremse stehen wo sie nur könnten. „Und die Zeit haben wir nicht.“ Die Ausbauziele für Erneuerbare will Scholz deswegen auch schnellstmöglich nach der Wahl erhöhen.

Kohleausstieg: Früher, wenn möglich

Wie schnell die letzten Kohlekraftwerke am Ende abgeschaltet werden können, darüber ist man sich indes nicht einig. 2038 war das Ausstiegsjahr, auf das man sich bei der von der SPD initiierten Kohlekommission 2019 geeinigt hatte. „Spätestens“ hieß es allerdings auch schon damals, der Kompromiss wurde von Parteien, den betroffenen Unternehmen und Gewerkschaften sowie Umweltverbänden mitgetragen. Im kommenden Jahr gehen außerdem bereits die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz.

Die SPD steht zu beiden Ausstiegen. Allerdings: Der Emissionshandel in der EU verteuert schon jetzt Strom aus fossilen Energieträgern – und der Preis wird weiter steigen, während die Preise für Windkraftanlagen und Solarzellen weiterhin sinken. Gleichzeitig steigt, unter anderem durch die steigende Zahl an E-Autos auf den Straßen, der Energiebedarf. Dabei wird grüner Wasserstoff für die Industrie noch gar nicht in großem Stil erzeugt. Doch der ist nötig, um sich auch langfristig vom Erdgas verabschieden zu können.

All das soll – dafür stehen vor allem die Sozialdemokrat*innen im Wahllkampf – aber nicht auf Kosten der Menschen passieren, die im Kraftwerk, am Hochofen oder bei VW am Fließband arbeiten. „Wir müssen Arbeit und Umwelt zusammenbringen“, darauf pocht auch Weil.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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