Soziale Politik

Hubertus Heil: „Digitalisierung nicht mit Ausbeutung verwechseln“

Beschäftigung über Internetplattformen wächst stetig. Nicht immer ist die Arbeit prekär, doch oftmals schlecht bezahlt und ohne soziale Sicherung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das ändern.
von Vera Rosigkeit · 19. April 2021

Schätzungen zufolge liege die Anzahl von Beschäftigten in der Plattformökonomie in Deutschland bei rund 500.000 bis 1, 6 Millionen, erklärt Johanna Wenckebach vom Hugo Sinzheimer Institut. Europaweit gehe man von rund 11 Prozent Plattformtätigen aus. Durch die Corona-Pandemie steige die Zahlen stetig, vor allem im Bereich der Lieferdienste, sagt sie beim Plattformgipfel des Bundesarbeitsministeriums „Gig, Crowd und Cloud – sichere Arbeit? Fairer Wettbewerb?“

Nicht mit Ausbeutung verwechseln

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil spricht von Licht und Schatten und großen Machtmissverhältnissen zwischen Plattformbetreibern und ihren Beschäftigten. IT-Programmierer*innen beispielsweise könnten als Freelancer richtig gut verdienen. Größer jedoch sei der Anteil prekär Beschäftigter. Hier dürfe man „Digitalisierung nicht mit Ausbeutung verwechseln“, kritisiert Heil. Er wolle den Trend zur Plattformarbeit nicht aufhalten, aber die Entwicklung „im Sinne der Beschäftigten für gute und faire Arbeit gestalten“.

Dass dieses Vorhaben notwendig ist, unterstreicht Marc Graham von der University of Oxford mit Blick auf die Risiken dieser Arbeitsverhältnisse. So würde vielen Plattformbeschäftigten als selbstständig Tätigen oftmals soziale Rechte vorenthalten und nicht einmal der Mindestlohn gezahlt. Gleichzeitig fehle die soziale Absicherung zum Beispiel im Krankheitsfall. Zudem seien die Jobs oft gesundheitlich nicht ohne Risiko, denke man beispielweise an die Fahrradkuriere, die sich oftmals ohne Unfallversicherung durch dichten Stadtverkehr bewegten. Da sich Plattformbetreiber nicht in der Rolle eines Arbeitgebers sähen, könnten sie sich aus der Verantwortung ziehen.

Selbstständig oder Arbeiternehmer*in?

Es sei wichtig zu unterscheiden, ob die Plattform ein Marktplatz sei, auf dem Freelancer ihre Arbeit anböten oder ob der Plattformbetreiber Einfluss auf Vertragsgestaltung und Kundenbeziehung nehme, sagt Heil. Die Frage, wer soloselbstständig und wer abhängig beschäftigt ist, entscheide über den Sozialschutz und die Frage von Rechten. Um diese Rechte zu stärken, will Heil vor allem in der „Statusfeststellung schneller werden“ und damit gleichzeitig Scheinselbstständigkeit aufdecken.

Für die kommenden Wochen kündigt Heil an, die Statusfeststellung gesetzgeberisch zu beschleunigen. Das möchte er in dieser Legislaturperiode noch umsetzen. Er fordert zudem, dass die Beweislast dieser Statusfeststellung im Zweifelsfall bei den Plattformenbetreibern liegen muss.

Mehr sozialen Schutz einführen

EU-Kommissar Nicolas Schmit begrüßt die Idee, eine Beweislastregelung zu Gunsten der Plattformtätigen einzuführen und berichtet von rund 140 Urteilen aus EU-Mitgliedsstaaten. In den meisten Fällen hätten die Gerichte entschieden, dass die Plattformtätigen, die geklagt hatten, nicht selbstständig seien. Für ihn ist klar, dass es hier Handlungsbedarf auch auf EU-Ebene gibt.

Schon im vergangenen Herbst hatte Hubertus Heil angekündigt, mit einer Reihe von Maßnahmen Rechte von Plattformtätigen gegenüber Arbeitsplattformen zu stärken und für faire Bedingungen und mehr sozialen Schutz zu sorgen. Ob Essenlieferanten, Fahrdienste, Haushaltsdienstleistungen oder Online-Arbeit wie etwa Lektorat oder Programmierung – in vielen Fällen haben die Beschäftigten nur eingeschränkten Einfluss auf die Vertragsbedingungen und Preisgestaltung.

Mehr Sicherheit im Alter

Da Plattformen in der Regel davon ausgehen, dass die für sie Tätigen selbstständig sind, müssen Beschäftigte selbst bei geringem Einkommen privat vorsorgen. Für diejenigen, die tatsächlich als Soloselbständige tätig sind, müsse laut Heil mehr Sozialschutz organisiert werden und auch mehr Sicherheit im Alter. Auch müssten Soloselbstständige sich kollektiv zusammenschließen können. „Es geht um ein ganzes Setting“, sagt Heil. Dabei gehe es auch um Machtfragen, wie beispielsweise, ob Plattformen im Sinne eines Arbeitgeberanteils auch an der Alterssicherung beteiligt werden müssen.

Es gehe aber auch um Mitbestimmung auf Augenhöhe. Wie können sich digital Beschäftigte begegnen, um faire Arbeitsbedingungen auszuhandeln? Das sei eine große Herausforderung auch an die Gewerkschaften, so Heil.

Für ihn ist klar, dass der Staat einen Rahmen vorgeben müsse, Selbstverpflichtung der Unternehmen reiche nicht. Ein Rechtsrahmen für faire Plattformarbeit wäre aus seiner Sicht „eines der wichtigsten Projekte kurz nach der nächsten Bundestagswahl“, erklärt Heil. Deshalb müsse man den Dialog so gut vorbereiten. Denn nur so könne „aus technischem Fortschritt sozialer Fortschritt“ werden.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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