Energiekrise: Mit welchen Problemen die Tafeln zu kämpfen haben
Dirk Bleicker; dirkbleicker.de
Als der weiße Lieferwagen auf den Hof fährt, wird es hektisch. Zehn Frauen und Männer eilen herbei, um die vollgepackten schwarzen Kisten auszuladen. Seit sieben Uhr morgens ist der Fahrer unterwegs, klappert gemeinsam mit drei Kollegen 70 Supermärkte in Potsdam, Berlin und dem Brandenburger Umland ab, um dort übrig gebliebene Lebensmittel für die Potsdamer Tafel einzusammeln. Doch jetzt muss es schnell gehen.
Zu wenig Platz für die „Tafel“
Was um kurz nach 10 Uhr auf dem Hof in der Drewitzer Straße passiert, folgt einem festen Ablauf. Die Kisten werden auf Sackkarren verteilt und nach drinnen gebracht. Dort sortieren die ehrenamtlichen Helfer*innen das Obst und Gemüse. Schon in wenigen Stunden werden hunderte Menschen vor der Tür anstehen, um ihren wöchentlichen Einkauf für zwei Euro pro Person abzuholen.
1.800 Menschen versorgt die Potsdamer Tafel aktuell pro Woche. Bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine waren es etwa 1.200, dann kamen zeitweise mehr als 3.000. Die ehrenamtlichen Helfer*innen kamen an ihre Belastungsgrenze. Deswegen zog Imke Georgiew die Reißleine und verhängte einen Aufnahmestopp. Anders als bei vielen anderen Tafeln zurzeit in Deutschland gebe es in Potsdam mit 200 ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen zwar genügend personelle Unterstützung, erklärt die hauptamtliche Geschäftsführerin. Auch Lebensmittelspenden haben sie ausreichend, fast 100 Tonnen pro Monat. Das Problem sei der Platz: „3.500 Leute könnten wir schaffen, wenn wir die entsprechenden Räumlichkeiten hätten. Die Kisten sind so voll, dass wir sie ohne Weiteres halbieren könnten.“
Damit ist die Potsdamer Tafel im Vergleich gut gestellt. Aufgrund von Inflation, Pandemie und Kriegsfolgen hat sich die Zahl der Kund*innen bei den rund 960 Tafeln bundesweit seit Jahresbeginn um etwa die Hälfte erhöht. Deutlich mehr als zwei Millionen armutsbetroffene Menschen suchen damit Unterstützung – so viele wie nie zuvor. Der Dachverband, die Tafel Deutschland, spricht von der „schwierigsten Lage, die wir je erlebt haben“.
Der Ton wird ruppiger
Rainer Flegerbein aus Teltow ist in dieser Zeit als Helfer zur Potsdamer Tafel gekommen. „Ich bin seit eineinhalb Jahren in Rente und wollte gerne ehrenamtlich tätig sein“, sagt Flegerbein, während er eine Kiste auspackt. Gemeinsam mit seiner Frau ist er jeden Mittwoch von 10 bis 14 Uhr vor Ort. Er freut sich, etwas Gutes tun zu können und lobt den Zusammenhalt in der Gruppe. Mit den Kund*innen, die ab 15 Uhr anstehen, um ihre Einkäufe abzuholen, kommt er kaum in Kontakt. Ohnehin ist dieser seit Beginn der Corona-Pandemie seltener geworden, berichtet Georgiew.
„Früher kamen die Kunden hier rein, gingen an der Theke vorbei und konnten sich dann im Gespräch mit den Mitarbeitern aussuchen, welches Obst oder welches Gemüse sie haben wollen“, erzählt sie. Inzwischen erhalten die Kund*innen aus hygienischen Gründen draußen vor der Tür eine fertig gepackte Kiste, die neben Obst und Gemüse auch Backwaren, Milchprodukte oder Fleisch enthält. Zwar bekomme jede*r das Gleiche. Dennoch sagt Georgiew: „Es ist sehr ruppig geworden, wenn die Kunden warten müssen. Dadurch bleiben andere Personengruppen weg, vor allem Rentner, die körperlich nicht in der Verfassung sind, um dem Stand zu halten.“
Wunsch nach mehr Unterstützung
Oft kommen auch Leute, die bisher keine Kund*innen der Tafel sind, und bitten um Unterstützung. Es sei hart, diese abzuweisen, sagt Georgiew. „Erst gestern standen 20 Leute um 9 Uhr vor der Tür.“ Deswegen hat sie den Aufnahmestopp zum 1. November wieder aufgehoben. „Wir haben uns überlegt, wie wir ein bisschen Luft schaffen können.“ Die 120 weiteren Plätze waren binnen weniger Tage vergeben, 110 von ihnen an Ukrainer*innen.
Georgiew macht sich auch Gedanken um die Menschen, die im Winter nun bei Schnee, Regen und Wind vor der Tür anstehen müssen. Deshalb hat sie 16.000 Euro aus Lotto-Mitteln des Landes Brandenburg für ein Vordach beantragt. Grundsätzlich wünscht sie sich mehr Unterstützung auf allen Ebenen. Einen Großteil der laufenden Kosten in Höhe von 400.000 Euro pro Jahr müsse die Potsdamer Tafel durch Spenden schultern. „Ich wünsche mir, dass die Tafeln endlich akzeptiert und finanziell gefördert werden.“ Bislang müsse sie beispielsweise auf kommunaler Ebene jedes Jahr einen neuen Finanzierungsantrag stellen und hoffen, dass dieser genehmigt werde. Zwar gebe es in dieser Hinsicht hoffnungsvolle Gespräche mit der Stadt. Doch Georgiew sagt auch: „Wenn das jetzt in Potsdam klappt, sind wir eine der wenigen, bei denen das funktioniert.“
Umzug möglicherweise im Jahr 2024
Möglicherweise kann die Potsdamer Tafel in zwei Jahren in neue Räumlichkeiten umziehen. Imke Georgiew hofft darauf. Denn das würde helfen, mehr Menschen mit Lebensmitteln versorgen und ihnen im besten Fall auch einen Aufenthaltsraum bieten zu können. Der Bedarf wird da sein.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo