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Zum Tod von Peter Conradi: Seine kritische Stimme wird fehlen

Es ist zwar üblich, in Nachrufen nur Gutes zu schreiben. Bei Peter Conradi aber schwingt viel ehrliche Betroffenheit mit, auch bei denen, die es nicht leicht hatten mit ihm. Am Samstag ist er im Alter von 83 Jahren in Stuttgart verstorben.
von Renate Faerber-Husemann · 16. März 2016
Peter Conradi
Peter Conradi

Wo Peter Conradi auftauchte, da wurde es turbulent – und das galt bis kurz vor dem Tod des 83-Jährigen, der am 11. März nach kurzer Krankheit in Stuttgart gestorben ist. Der Hüne, Markenzeichen Fliege, mit dem dichten weißen Lockenkopf und dem spöttischen Lächeln hat es seiner SPD nie leicht gemacht – und sie ihm auch nicht! 26 Jahre lang (von 1972 bis 1998) saß der Architekt im Bundestag, kämpfte einst gegen den Radikalenerlass, später für menschengerechte Städte, für sozialen Wohnungsbau und vor allem für eine SPD, die ihre Wurzeln nicht vergessen dürfe.

In den frühen 80er Jahren, als die Grünen im Bundestag noch als die politischen Schmuddelkinder galten, interessierte sich Peter Conradi ohne Berührungsängste für die neuen Gedanken, die sie mitbrachten. In der eigenen Partei ging er keinem Streit aus dem Weg und war dennoch – oder deshalb – als Stuttgarter Abgeordneter immer für glänzende Wahlergebnisse gut.

Kämpfer gegen Stuttgart 21 und steigende Mieten

Geboren in Schwelm in Nordrhein-Westfalen hat Peter Conradi Stuttgart immer als seine Heimatstadt gesehen, um die er sich  mit Leidenschaft kümmerte – mehr als vielen Genossen recht war. Er gehörte zu den „Rädelsführern“ gegen „Stuttgart 21“, das monströse Bahnhofsprojekt. Er kämpfte gegen das Schleifen von Sozialwohnungen und gegen Mieterhöhungen im städtischen sozialen Wohnungsbau.

Im Jahr 1974 kandidierte er in Stuttgart bei der Oberbürgermeisterwahl und unterlag dem CDU-Kandidaten Manfred Rommel. Als Conradi im Jahr 2012 dazu aufrief, bei der OB-Wahl nicht die SPD-Kandidatin Bettina Wilhelm zu wählen, sondern den Grünen Fritz Kuhn, da schien das Maß voll zu sein. Eitel und parteischädigend nannten ihn die erbosten Genossen, „Taliban“  war eines der netteren Schimpfwörter, ja, man forderte ihn sogar auf, die SPD zu verlassen, in die er 1959 eingetreten war.

Konstruktiver Unruhestifter

Schon einige Jahre zuvor hatte es handfesten Streit gegeben, eine Zeit lang ließ Conradi sogar seine Mitgliedschaft ruhen. Doch er blieb und ließ sich 2009 mit der Ehrennadel für 50 Jahre Mitgliedschaft feiern. Leiser wurde er danach nicht. Er blieb der konstruktive Unruhestifter, nannte sich selbst einen „alten Elefanten, der noch etwas zu sagen hat“ und das tat er dann auch.

In einem „Blauen Brief“ las Conradi den Stuttgarter Genossen kurz vor seinem 80. Geburtstag die Leviten: Er trauere um die „alte Tante SPD“, die nicht nur dem Ausverkauf von Sozialwohnungen, sondern auch „der chaotischen, miserablen, stadtzerstörenden Planung der Bahn“ zugestimmt habe. Und wieder einmal wurden die Rufe lauter, ihn aus der  Partei zu werfen.

Er genoss Respekt weit über SPD-Grenzen hinaus

Nicht nur in Stuttgart, auch in der SPD-Bundestagsfraktion in Bonn und Berlin galt er vielen als Unruhestifter und Nervensäge. Dabei war er beliebt. Die Unbekümmertheit, mit der er stets sagte, was er für richtig hielt, auch bei seinen glänzenden Redebeiträgen im Plenum, trug ihm Respekt ein weit über die Grenzen der eigenen Partei. Da er witzig, schlagfertig und charmant war, wurde Conradi wohl mehr verziehen als anderen.

Dass er nie in die Rolle des Hofnarren rutschte, hatte mit seiner exzellenten Sachkenntnis in Sachen Städtebau, Stadtkultur und menschengerechter Architektur zu tun. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag wählte ihn die Bundesarchitektenkammer von 1999 bis 2004 nicht ohne Grund zu ihrem Präsidenten.

Peter Conradis Vermächtnis

Es ist zwar üblich, in Nachrufen nur Gutes zu schreiben, doch bei Peter Conradi schwang viel ehrliche Betroffenheit mit, auch bei denen, die es nicht leicht hatten mit ihm. Vielleicht wird man in einiger Zeit bei der Stuttgarter SPD auch mit weniger Bitterkeit über jenen Blauen Brief diskutieren können, der vor rund drei Jahren für so viel Zorn gesorgt hatte. Heute lesen sich viele Sätze wie das Vermächtnis des sperrigen, aber leidenschaftlichen Sozialdemokraten, der er ja war: „Das DU und das WIR, soziale Gerechtigkeit, Glaubwürdigkeit, Solidarität, Verantwortung, Vertrauen müssen wiederentdeckt werden.“   

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Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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