Zum Tod von Luise Nordhold (101): Ein langes Leben für die SPD
Christian Kosak
Luise Nordhold, seit über 90 Jahren in der SPD und damit eines der ältesten Mitglieder der Partei, ist tot. Sie starb am 22. März, zehn Tage nach ihrem 101. Geburtstag, in einem Alters- und Pflegeheim der Caritas in Bremen-Marßel. Luise Nordhold stimmte für die „Groko“, fügte aber gleich hinzu, die Partei müsse ihren Stil, ihre Haltung zu sozialen Problemen grundlegend ändern, sich auf ihre Tugenden, ihre Herkunft besinnen und erneuern. „Aber“, fragte sie sich noch vor ein paar Wochen, „was kümmere ich mich eigentlich darum? Bin alt genug, um mir darüber keine Gedanken mehr zu machen.“ Doch bis zum Ende blieb sie engagiert, trieb sie die Partei und ihr Schicksal um.
Kälte, Hunger und bitteres Elend
Noch im Ersten Weltkrieg in den Bremer Westen, wie zwölf Jahre später auch Hans Koschnick, in eine Arbeiterfamilie hineingeboren, hat sie Teil gehabt an den Höhen und Tiefen der Sozialdemokratie, ihren Erfolgen und Niederlagen. Für sie begann alles bei den Kinderfreunden „Rote Falken“ und der Sozialistischen Arbeiterjugend. Durch ihren Vater erkannte sie früh die Gefahren, die von „Hakenkreuz und Stahlhelm“ ausgingen. Sie hat miterlebt, wie sich die Arbeiterparteien durch ihren Kampf gegeneinander paralysierten und so den Weg ins Dritte Reich mitverursachten. Beirren ließ sie sich dadurch nicht, half nach 1933 mit, Familien inhaftierter Genossen zu unterstützen. Nicht einmal den kleinen Finger hat sie jemals den Nazis gereicht.
Der Krieg traf schließlich auch sie und ihre junge Familie. 1944 ausgebombt und nahe Bremen in einem rasch zurechtgezimmerten Behelfsheim der AG Weser auf 20 m² ohne Strom, Wasser und Heizung untergebracht, überstand sie Kälte, Not, Hunger und bitteres Elend. Nach dem Krieg baute sie in Ihlpohl bei Bremen die Partei wieder mit auf, engagierte sich im Ortsverein ebenso viele Jahrzehnte lang wie in der „Arbeiterwohlfahrt“, stritt um die Gleichberechtigung der Frau und bemühte sich um eine Aussöhnung mit Israel.
Menschen waren ihr wichtiger als Karriere
Sie lebte gesund, strebte nie das Schönste und Teuerste an. Der Bezug zu ihren Mitmenschen war ihr wichtiger als eine Parteikarriere. Sie kümmerte sich um Benachteiligte, Einsame und Alleinstehende, ging auf sie zu, machte Angebote für Sommeraktivitäten, Kurse und Veranstaltungen, allesamt bezahlbar. Und so gibt die Biografie über sie einen außergewöhnlichen Einblick in das Leben einer Frau, die sich, ungeachtet von Drangsalierungen, als geistig überaus beweglich, hilfsbereit und authentisch erwiesen hat.
Sie war Putzfrau, Bürogehilfin, Packerin, Lehrerin, Schriftführerin, Kassiererin, repräsentiert das Leben all jener „kleinen Leute“, für die Geradheit, Uneigennützigkeit, Freundschaft, Solidarität und Herzensbildung elementare Grundlagen jenes Verhaltens sind, das die Partei groß gemacht hat. Luise Nordhold steht für eine SPD, die ihre Kraft in den Dienst des Gemeinwohls stellt.
Kritisch zur „Agenda 2010“
Gerhard Schröders „Agenda 2010“ stand sie kritisch gegenüber, zumal mit den Reformen der Ausbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse, der Leiharbeit und des Niedriglohnsektors verbunden war. Deutschland solle mit den Waffenexporten aufhören und endlich die Gleichberechtigung der Frauen verwirklichen. Der Partei müsse es auf Glaubwürdigkeit ankommen – nicht auf schöne Reden und leere Versprechen, welche die Parteiverdrossenheit steigern und die Demokratie bedrohen. Der Rechtspopulismus jagte ihr Furcht ein. Sie hoffte, dass die Partei sich den ausländer- und europafeindlichen Kräften offensiv entgegenstellt.
Luise war ein Familienmensch. Nur wenn es ihren Angehörigen gut ging, war sie zufrieden. Sie lebte vor, dass der Mensch nicht für sich allein lebt. Und so war auch ihre Familie für sie da. Sie hinterlässt drei Kinder, fünf Enkel und drei Urenkel – allesamt in der SPD. Luise Nordhold verdient es, in Erinnerung gehalten zu werden.
Tim Jesgarzewski: Für Freundschaft, Solidarität und soziale Gerechtigkeit – Luise Nordhold – Biografie einer Sozialdemokratin 1917-2017. Mit einem Geleitwort von Hans Koschnick, 12.80 € – ISBN 978-3-938275-87-0 (Donat Verlag)