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Zum Tod von Henrik Enderlein: ein realistischer Träumer

Henrik Enderlein war nicht nur ein wissenschaftlicher Begleiter von Politik und Wirtschaft, sondern auch deren Berater. Seine ganze Leidenschaft galt Europa. Henrik Enderleins viel zu früher Tod hinterlässt eine Lücke, die schmerzt.
von Gustav Horn · 30. Mai 2021
Allein schon sein Lebensweg weist ihn als überzeugten Europäer aus: Im Alter von nur 46 Jahren ist Henrik Enderlein gestorben.
Allein schon sein Lebensweg weist ihn als überzeugten Europäer aus: Im Alter von nur 46 Jahren ist Henrik Enderlein gestorben.

Henrik Enderlein ist tot. Das ist eine unfassbare Nachricht, auch wenn seine schwere Krankheit seit längerem bekannt war. Die Hertie School of Governance verliert einen hervorragenden Lehrer, Manager und Wissenschaftler, vor allem aber einen Menschen, der andere begeistern konnten und auf diese Weise prägend für viele war.

Henrik Enderlein war aber nicht nur ein wissenschaftlicher Begleiter von Politik und Wirtschaft, sondern auch deren Berater. Er war Mitglied der SPD und hatte schon in relativ jungen Jahren engen Kontakt zu führenden Politikern der SPD. Er beriet Frank-Walter Steinmeier, Martin Schulz und war Mitglied im Wirtschaftspolitischen Rat von Sigmar Gabriel.

Mit Leidenschaft für die europäische Integration

Seine fachliche Kompetenz in politischen und wirtschaftlichen Fragen war unbestritten. Bereits sein Studium an der Elite Hochschule Institute d’études politique de Paris (Science Po)  schloss er mit einem brillianten Examen ab. Es folgten Stationen an der Columbia University in New York, dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, der EZB und schließlich der neu gegründeten Hertie School of Governance in Berlin, in deren Gründungsfakultät er Mitglied war. Von 2018 bis Anfang 2021 war er sogar Präsident der Hertie School. In dieser Funktion siedelte er mit Unterstützung  von Helmut Schmidt das Jacques Delors Institut, dessen Gründungsdirektor er in Deutschland war, an der Hochschule an. Er schuf damit der politischen und ökonomischen Forschung über die EU eine akademische Heimat.

Letzteres lässt die politische Herzensangelegenheit von Henrik Enderlein erkennen: Europa. Allein schon sein Lebensweg weist ihn als überzeugten Europäer aus. Mit Leidenschaft setzte er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit für eine verstärkte europäische Integration ein. Mit Blick auf die EU kann man Henrik Enderlein als einen realistischen Träumer bezeichnen. Bei all seinem Idealismus in Sachen Europa verlor er nie die zuweilen karge Realität aus den Augen. Die partikularen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten und das Fehlen eines politischen Diskurses aus europäischer Perspektive, auch in der deutschen Parteienlandschaft, waren ihm jederzeit schmerzlich bewusst.

Anhänger strikter Fiskalregeln zur Begrenzung staatlicher Schulden

Er lies sich jedoch davon nicht entmutigen. Dass die Realität nicht seinen Wünschen entsprach, spornte ihn nur an, seine Ratschläge an die Politik, mit ausgeprägtem Realismus zu würzen. Hierbei kamen ihm seine wirtschaftspolitischen Überzeugungen zu Hilfe. Er vertrat in einigen Fragen eher konservative  bzw. restriktive Positionen. So war er  skeptisch, ob sich Staaten ausser in Konjunkturkrisen verschulden sollten. Er war ein Anhänger strikter Fiskalregeln zur Begrenzung der staatlichen Schuldenaufnahme. Deshalb ist  es kein Zufall, dass er Mitglied im Stabilitätsrat war, der die Tragfähigkeit der öffentlichen Schulden in Deutschland beurteilt. Diese restriktive Haltung führte innerhalb der SPD zu manchen Debatten, die er aber immer respektvoll und konstruktiv gestaltete.

Die wirtschaftspolitisch eher konservative Ausrichtung verschaffte ihm während der Euro-Krise Respekt bei den Anhängern einer fiskalischen Restriktion in der Währungsunion. Henrik Enderlein nutzte dieses Ansehen, um gleichzeitig im konservativen Lager Unterstützung für seine Vorstellungen über eine vertiefte europäische Integration zu gewinnen. In den zahlreichen Kommissionen, in denen er gehört wurde oder Mitglied war, trat er als vehementer Befürworter einer gemeinsamen europäischen Finanz- und Sozialpolitik auf. Er hätte sich sicher gewünscht, dass es nicht einer weiteren Krise bedurft hätte, um diesem Ziel zumindest einen großen Schritt näher zu kommen.

Eine Lücke, die schmerzt

Das Bild von Henrik Enderlein bliebe unvollständig, wenn man seine Fähigkeiten verschweigen würde, andere Menschen zu begeistern und mit ihnen hoch gesteckte Ziele zu erreichen. Sein Wirken sowohl an der Hertie School als auch in der politischen Beratung, vorwiegend in der SPD, legen hierüber ein beredtes Zeugnis ab.

Und nun ist da eine Lücke, wo sonst Henrik Enderlein stand. Der Anblick dieser Lücke schmerzt.

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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