Parteileben

Zum Tod von Helmut Rohde: Er wollte überzeugen – nicht überreden

Manche hatten ihn längst vergessen, weil man so lange nichts von ihm oder über ihn gehört oder gelesen hatte. Das wäre nicht gut für eine Partei, die sich wegen ihrer langen Geschichte auch ihres langen Gedächtnisses rühmt. Helmut Rohde war eine „große Nummer“ in der SPD Hannovers, Niedersachsens und der alten Bundesrepublik.
von Rolf Wernstedt · 6. Mai 2016

Seine Tätigkeit als Pressesprecher des Niedersächsischen Sozialministeriums unter SPD-Minister Heinrich Albertz von 1953 bis 1957 nach seinem Studium der Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven hatte der gelernte Journalist als Aufgabe verstanden, den Journalisten und der Öffentlichkeit sozialdemokratische Sozialpolitik zu erklären. Seine Auftritte waren legendär. Wortgewandt und leidenschaftlich stritt er für Positionen, die er für richtig erkannt hatte.

Überzeugen anstatt zu überreden

In Parteiversammlungen sprach der relativ klein gewachsene Mann immer etwas zu laut. Man merkte, dass er das Reden zu einer Zeit gelernt hatte, als es noch nicht überall Mikrofone gab. Man nahm es ihm nicht übel: Er wollte überzeugen, nicht überreden.

Das kam besonders in seiner Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär im Sozialministerium unter Bundesminister Walter Arendt zum Tragen. Seine Sorge galt den sozial Schwächeren, zu denen immer auch die Arbeitslosen zählen. Die relativ neue Erfahrung mit Arbeitslosen nach den Boomjahren der Bundesrepublik trieb ihn um. Er konnte sich schrecklich aufregen über die gefühllose Präsentation der monatlichen Arbeitslosenzahlen durch die BfA (Bundesanstalt für Arbeit). Dem Arbeitsförderungsgesetz galt seine Aufmerksamkeit genauso wie dem Berufsbildungsgesetz.

Chancengleichheit durch Öffnung der Hochschulen

Seine bedeutsamste staatliche Rolle hatte er als Bundesbildungsminister von 1974 bis 1978 inne. Er war in seiner total unakademischen Art eine interessante Figur. Denn er war derjenige, der in einem Hochschulrahmengesetz grundgesetzkonforme Regelungen zum Universitätszugang oder zur Hochschulmitfinanzierung des Bundes schuf.

Im Kopf hatte er nicht nur Chancengleichheit und die Ausweitung der Abiturientenzahlen, die in der Öffnung der Hochschulen ihren Niederschlag fand, sondern auch die Förderung der außerbetrieblichen Ausbildung.

Der eigentlich Begründer der AfA

Helmut Rohde war der eigentliche Begründer der AfA, der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD. Elf Jahre, von 1973 bis 1984, war er ihr Vorsitzender. Er war wie kein Zweiter geeignet, die zunehmende Schwäche der genuinen Arbeitnehmerpositionen in der SPD glaubwürdig zu formulieren und zu überwinden.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 1987, dem er seit 1957 angehört hatte, hat er sich öffentlich weitgehend zurückgezogen. Und nach einem schweren Autounfall verstummte seine politische Stimme.

Solidarität versus Nächstenliebe

Von Helmut Rohde habe ich gelernt, was kirchliche Nächstenliebe von sozialdemokratischer Solidarität unterscheidet. Er erklärte einmal, dass uns nicht das mitfühlende Herz für Schutzsuchende und Schutzbedürftige von den religiös Motivierten trennt – sondern der feste Wille, so weit es geht, für alle in der Gesellschaft das Recht auf würdevolle Behandlung und soziale Sicherung zu etablieren. Hilfe darf nicht angewiesen sein auf die persönliche Hilfsbereitschaft einzelner Menschen, seien es Reiche oder Selbstlose, so vorbildlich und großzügig menschlich sie sein mögen. Es kommt nicht auf das Wohlgefühl der guten Tat allein an, sondern auf die Anerkennung der Würde für alle, praktisch und ideell. Damit hatte er sehr präzise den Kern konservativer, zum Beispiel US-amerikanischer, Sozialpolitik und sozialdemokratischer Solidarität formuliert.

Ein sozialdemokratischer „Saint“

Helmut Rohde konnte hinreißend Gitarre spielen. Es konnte passieren, dass er bei einer Ortsvereinsfeier die Gitarre hervorholte, das Bein auf den Stuhl stellte und „When the Saints go marching in“ anschlug.

Ein sozialdemokratischer „Saint“ ist von uns gegangen.

Autor*in
Rolf Wernstedt

ist seit 1969 SPD-Mitglied. Er war von 1990 bis 1998 niedersächsischer Kultusminister und von 1998 bis 2003 Präsident des Niedersächsischen Landtages. Seit 1989 ist er Honorarprofessor am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Hannover.

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