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Zum Tod von Greta Wehner: Mehr als die Frau an Herberts Seite

Am 23. Dezember ist Greta Wehner im Alter von 93 Jahren gestorben. Die Wahl-Dresdnerin war lebensnotwendig für Herbert Wehner - und doch weit mehr als nur die Frau an der Seite des langjährigen SPD-Fraktionsvorsitzenden. Eine persönliche Würdigung von Christoph Meyer
von Christoph Meyer · 29. Dezember 2017
Greta Wehner hatte Freude am Leben ohne je leichtlebig zu sein. Am 23. Dezember ist sie im Alter von 93 Jahren in Dresden gestorben.
Greta Wehner hatte Freude am Leben ohne je leichtlebig zu sein. Am 23. Dezember ist sie im Alter von 93 Jahren in Dresden gestorben.

Anfang 1998 kam ich als neuer Geschäftsführer des Herbert-Wehner-Bildungswerks nach Dresden. Greta Wehner kennen zu lernen, erschien mir damals als Herausforde­rung. Sehr schwerhörig und nicht mehr gut zu Fuß, wirkte sie nicht besonders zu­gänglich. Doch das gab sich schnell. Schon ihre Wohnung strahlte eine enorme Be­haglichkeit aus. Eine Gastfreundschaft, wie sie selten zu erleben ist, öffnete einem das Herz. Und im Arbeiten für gemeinsame Ziele wuchs schnell ein Vertrauen, das gegenseitig war und sich als belastbar erwies. Wenn wir Dresden inzwischen als un­ser „Zuhause“ ansehen, dann ist dieses Heimatgefühl untrennbar mit dem Gedanken an Greta verbunden, die ja auch „nur zugezogen“ war.

Stets geradlinig, offen und ehrlich

Greta Wehner hatte Freude am Leben ohne je leichtlebig zu sein. Sie hatte Humor, völlig frei von Zynismus. Sie war in keiner Weise raffiniert, sondern stets geradlinig, offen und ehrlich. Taktisch denken, das war ihr völlig fremd. Sie konnte auch an­strengend sein. Dabei war sie umsichtig und voller intuitiver Menschenkenntnis.

Als 2014 viele Flüchtlinge kamen, fühlte Greta sich an ihre Kindheit und Jugend erin­nert. Damals, 1937, musste ihre Mutter Lotte mit ihr und ihrem Bruder vor den Nazis fliehen. Es war eine lebensgefährliche Situation. Aufnahme und Arbeitsmöglichkeit fanden sie in Schweden. Dort lernte ihre Mutter 1944 Herbert Wehner kennen – und ein neues Leben begann. Den Wehners wurde geholfen – und sie halfen selbst Flüchtlingen und politischen Gefangenen, ein Leben lang.

Eine familiäre Symbiose, die ihresgleichen sucht

Greta, am 31. Oktober 1924 geborene Burmester, kam aus Norddeutschland. Sie ar­beitete in Schweden als Säuglingsschwester, ging 1947 wieder nach Hamburg und machte eine Ausbildung zur Sozialfürsorgerin. Im Jahre 1953 war sie schon mehrere Jahre berufstätig, als Herbert Wehner, Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­ter von 1949 bis 1983, sie nach Bonn rief.

Danach kam es zu einer familiären Symbiose, die ihresgleichen sucht. Als ich – auch mit Hilfe von Greta – die Biographie „Herbert Wehner“ (2006 im dtv-Verlag erschie­nen) geschrieben habe und die Unterlagen, Briefe und Notizen der Familie studieren konnte, wurde mir das ganze Ausmaß erst richtig deutlich. Weil ihre Mutter durch die NS-Verfolgung chronisch krank geworden war, musste Greta aushelfen. Und dabei blieb es nicht. Sie machte den Führerschein und wurde Herbert Wehners Fahrerin. Sie leitete sein Büro und führte seine Terminkalender. Sie begleitete den SPD-Politiker auf Rei­sen und zu politischen Gesprächen. Sie führte die Korrespondenz bei Familienzu­sammenführungen und Häftlingsfreikäufen aus der DDR. Sie wurde seine wichtigste Mitarbeiterin, Überwacherin seiner Diät, schließlich 1983 seine Ehefrau und am Ende, die letzten Jahre, seine Pflegerin. Gretas Hilfe war für Herbert Wehner, der 1990 in Bonn starb, lebensnotwendig.

Einsatz für die Demokratie in Ostdeutschland

Erst im Alter von 71 Jahren, 1996, ist Greta Wehner von Bonn nach Dresden gezogen. Warum? Herbert hätte das auch getan, sagte sie, er hätte geholfen, die Demokratie in seiner geliebten Heimat aufzubauen. Das tat sie an seiner Stelle. Greta bereiste das Land, nicht nur staunend vor all den Sehenswürdigkeiten. Sie sprach den Menschen Mut zu, riet zur Zuversicht und warb dafür, durch eigenes Handeln in der Demokratie Verantwortung zu tragen.

Greta Wehner war 1992 Mitbegründerin des Herbert-Wehner-Bildungswerks, und in dessen Anfangsjahren versuchte sie an so vielen Seminaren wie möglich teilzuneh­men. Ihr Rat wurde aufmerksam angehört, wenn auch nicht immer befolgt. Greta wollte niemanden wegen vergangener Irrtümer ausschließen: „Menschen sind lernfä­hig. Dieses muss, um der Demokratie willen, akzeptiert werden“, sagte sie Ende der 1990er Jahre, als in der sächsischen SPD noch die Abgrenzungspolitik zur damaligen PDS herrschte.

Wachte Beobachterin des Geschehens

In den letzten Jahren forderte ein seit Jugendzeiten schwaches Herz seinen Tribut. Mit dem befreundeten Ehepaar Rita und Bernhard Schawohl, die sich ebenfalls bis zuletzt um sie kümmerten, haben wir kürzlich gerätselt, wann Greta wohl zuletzt auf dem Höhenweg unterhalb der Babisnauer Pappel war, um ihren geliebten Blick auf Dresden zu genießen. War es 2012 oder 2013? Seitdem jedenfalls wurden ihre Kreise immer enger, sie verließ zuletzt die Wohnung nicht mehr, empfing keine Journalisten, selbst die meisten privaten Besuche wurden ihr zu viel. Aber sie blieb eine wache Be­obachterin des Geschehens – und schaffte es bis fast zuletzt, ihren Tagesablauf selbständig zu bewältigen.

Als Greta Wehner vor über 20 Jahren von Bonn nach Dresden zog, brachte sie die komplette Wohnung der Wehners aus Bonn mit, Möbel, Bilder und andere Einrich­tungsgegenstände, Bücher, Briefe und Schriftstücke. Wenn der Alt-SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel zu Besuch kam, pflegte er sich in den Lehnstuhl am Wohnzim­mertisch zu setzen, blickte in den Raum und meinte: „Hier hat immer Herbert geses­sen, und hier saß ich“ – der Ort war derselbe geblieben, trotz 600 Kilometern Entfer­nung.

Im Sommer 2003 rief Greta die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung ins Leben. Diese soll die politische Bildung fördern und das Andenken an Herbert Wehner in seiner Heimat nutzbar machen. Eine neue Aufgabe ist jetzt hinzugekommen: Die Stiftung wird auch das Andenken an Greta Wehner weiter tragen.

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