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Zum Tod von Erhard Eppler: Quälgeist und Gewissen der SPD

Er galt als Mahner und war seiner Zeit oft voraus. Viele SPD-Politiker suchten den Rat von Erhard Eppler. Am 19. Oktober 2019 ist er im Alter von 92 Jahren gestorben. Ein Nachruf
von Renate Faerber-Husemann · 19. Oktober 2019
Er ist stets ein bisshen Lehrer geblieben: Erhard Eppler ist im Alter von 92 Jahren gestorben.
Er ist stets ein bisshen Lehrer geblieben: Erhard Eppler ist im Alter von 92 Jahren gestorben.

„Links Leben – Erinnerungen eines Werkonservativen“ hat Erhard Eppler eines seiner letzten Bücher genannt und beim erneuten Blättern ist man überrascht, wie sehr er wieder einmal seiner Zeit voraus war. Das war das Markenzeichen des am 19. Oktober 2019 im Alter von knapp 93 Jahren in seiner Heimatstadt Schwäbisch Hall verstorbenen Politikers und Schriftstellers: künftige Entwicklungen und ihre Folgen für die Gesellschaft frühzeitig zu erkennen. Dafür wurde er bewundert, besonders von jungen Menschen geradezu verehrt.

Von der Politik hat er bis kurz vor seinem Tod nicht lassen können. Noch in diesem Jahr hat er einen Gesprächskreis „Friedenspolitik 2.0.“ gegründet und mit politischen Freunden sorgenvoll Themen wie die Lage in der Ukraine diskutiert.

Immer ein bisschen Lehrer geblieben

Ein bisschen ist Erhard Eppler wohl immer geblieben, was er nur die kürzeste Zeit seines Lebens war: ein Lehrer. Als gelte es, einen bockigen Parteitag zu überzeugen, sprach der langjährige Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission sein politisches Leben lang besonders gerne mit jungen Leuten über Ökologie und Staatsschulden, über afrikanische Befreiungsbewegungen oder Atomkraft, über die Folgen von Neoliberalismus oder Europamüdigkeit. „Begreift doch, Kinder“, konnte ihm dann manchmal ungeduldig herausrutschen. Wo immer er auftrat, sprach er vor vollen Sälen, ganz ohne durch ein Amt verliehene Autorität.

Ohne Übertreibung kann man sogar sagen: Je geringer seine formale Macht war, desto größer wurde sein Einfluss innerhalb und außerhalb der SPD.

Spitzenpolitiker suchten regelmäßig seinen Rat.

Es war eine erstaunliche politische Lebensgeschichte. Erhard Eppler, Jahrgang 1926, hatte sich schon Anfang der 80er Jahre aus der aktiven Politik verabschiedet und sich mit seiner Frau Irene in sein Elternhaus in Schwäbisch Hall zurückgezogen. Dort schrieb er seine viel diskutierten Bücher, von dort aus reiste er zu seinen Vorträgen, wurde gefeiert auf evangelischen Kirchentagen. Je älter er wurde, desto mehr hörte man ihm zu. Spitzenpolitiker suchten regelmäßig seinen Rat.

Das war nicht immer so. Der Mann, der schon 1979 einen SPD-Landesparteitag in Baden-Württemberg auf den Ausstieg aus der Atomenergie einschwor, galt vielen einst als Quälgeist, der aussprach, was man (noch) nicht hören mochte. Egon Bahr hat später einmal über ihn geschrieben: „Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben auch.“

Eine ganze Generation beeinflusst

Erhard Eppler hat in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts den Begriff „Wertkonservatismus“ geprägt. Sein Buch „Ende oder Wende“ hat eine ganze Generation beeinflusst und wurde zum Bestseller, weil er eben nicht in Untergangsphantasien schwelgte, wie das damals Mode war, sondern mögliche Auswege aus der sich abzeichnenden umweltpolitischen Misere zeigte. Heute ist Allgemeingut bis in die konservativsten Kreise, was Eppler damals entwarf: Nämlich eine umweltgerechte Landwirtschafts- und Energiepolitik, verbunden mit einer ernst gemeinten Armutsbekämpfung in der sogenannten Dritten Welt. Damit war er der grünen Bewegung sehr nahe, die er mit Sympathie beobachtete.

Symbolfigur der Friedensbewegung

Wenige Wochen nach Willy Brandts Rücktritt 1974 verließ auch Erhard Eppler das Kabinett und wurde SPD-Landesvorsitzender und Oppositionschef in Baden-Württemberg. Das war eine quälende Zeit, obwohl er die recht verschlafene Partei, die sich im Filbingerland in der Opposition eingerichtet hatte, zu einer aufregend ideenreichen Truppe formte. Später hat er selbst einmal über diese Jahre gesagt: „Ich passte da nicht hinein. Wenn ein Konservativer etwas nicht versteht, dann ist das linke Ideologie. Und insofern war ich ein linker Ideologe.“

Während der Nachrüstungsdebatte wurde Eppler, damals auch Präsident des Evangelischen Kirchentages, zu einer Symbolfigur der Friedensbewegung, weil er im Wettrüsten keinen Sinn mehr erkennen konnte. Der Riss ging mitten durch die Partei. Altersmilde sagte er Jahrzehnte später: „Heute denke ich, diese Nachrüstung war nicht so gefährlich, wie ich gemeint habe und sicher nicht so notwendig, wie Helmut Schmidt gemeint hat.“

Ein Pazifist war er allerdings nie. Freunde und Gegner waren überrascht, als er 1999 während eines schwierigen SPD-Parteitags für den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan warb und mit seiner Autorität auch Zweifler dazu brachte, zuzustimmen. Seine Begründung: „Ich glaube, dass ein Pazifismus, der vor allem Antimilitarismus sein will, in dieser Welt gar keinen Sinn mehr ergibt.“

Resigniert hat er nie

Hauptthema seiner späten Jahre waren die Schäden durch den weltweiten Marktradikalismus. Zornig schrieb er: „Wo einmal die neoliberale Dogmatik die Köpfe beherrscht, wird uns unentwegt versichert, zu Deregulierung, Privatisierung, Entsolidarisierung, Ausgrenzung gebe es keine Alternative. Denkzwänge treten im Gewand von Sachzwängen auf.“

Resigniert aber hat er nie.  Als er einmal im hohen Alter gefragt wurde, ob er noch einmal jung sein möchte, antwortete er nach einer Nachdenkpause: „Ja, ich möchte schon gerne sehen, wie das weitergeht.“

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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