Zukunftskongress: Viele Gäste, heiße Debatten und ein Star
Ute Grabowsky / photothek.net
Unter dem Titel „Wir schreiben Zukunft“ hat die SPD am Sonntag ihren Zukunftskongress abgehalten. Mehr als 800 Gäste strömten anlässlich der Veranstaltung in das Willy-Brandt-Haus und diskutierten zusammen mit Ministern, Parlamentariern und Vorstandsmitgliedern der Partei über die zukünftige Politik der SPD. Gemeinsames Ziel aller Beteiligten: Ein Programm entwickeln, dass der SPD bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr zu einem starken Ergebnis verhilft.
Kritik und Diplomatie
Inhaltlicher Kern der Veranstaltung waren sogenannte Sessions, in denen Gäste mit Parteivertretern zu verschiedenen Themenbereichen ins Gespräch kamen. Besonders kontrovers ging es dabei in der Runde „Arbeit, Soziales, Gesundheit, Integration“ zu. Während sich Georg Cremer, Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, erschrocken zeigte über die „Aggressivität in der Debatte“, die insbesondere beim Thema Rentenniveau hochkochte, übte sich Andrea Nahles in Diplomatie: „Zwischen dem was gewünscht ist und dem was realistisch ist klaffen teilweise erhebliche Unterschiede“, so die Bundesarbeitsministerin in Reaktion auf die Vorwürfe an ihre Person.
Angeregten Austausch gab es auch in den Sessions zu den Themen Leben und Familie, Europa, Demokratie und Sicherheit sowie Wirtschaft, Digitalisierung, Umwelt und Ernährung, an denen unter anderem Familienministerin Manuela Schwesig, SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann und mit Malu Dreyer die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz teilnahmen. Dreyer hatte das Glück, am Ende der Veranstaltung für die Wahl ihres Themas geadelt zu werden. Die Teilnehmer einer sowohl online als auch vor Ort durchgeführten Umfrage erklärten das Thema „Gute Bildung“ zur wichtigsten Zukunftsaufgaben für die SPD. Just zu diesem Thema hatte Dreyer angeregt debattiert, unter anderem über die Aspekte Gebührenfreiheit von Kindertagesstätten, Bildungsstandards und die Abschaffung des Kooperationsverbots.
Neu-Juso wird zum Star
Star der Veranstaltung war der erst 14 Jahre junge Tim Schoenmaker. Nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel den aus dem Berliner Norden stammenden Jungen während seiner Eröffnungsrede auf die Bühne geholt hatte, avancierte er im Netz zum Liebling der User. Kein Wunder, ist Schoenmaker seit wenigen Wochen Mitglied bei den Jusos und bezeichnete sich im Gespräch mit vorwärts.de als „linken Sozialdemokraten“. Vor dem Zukunftskongress hatte er bereits an einem Treffen der Parlamentarischen Linken in Berlin teilgenommen, sich dort in den Workshops aber nicht zu melden gewagt. Knapp 30 Minuten nach seinem Kurz-Auftritt vor hunderten Gästen und zahlreichen Fernsehkameras gestand Schoenmaker: „Ich zitter immer noch.“
An Ambitionen mangelt es dem Neu-Juso indes nicht. Sein politisches Interesse gelte vor allem dem Thema Steuergerechtigkeit, für gewöhnlich nicht eben ein Aufreger in der Generation unter 20. Seine berufliche Karriere möchte er gern in der Politik machen, erklärt er weiter, wohlwissend, dass vielen seiner Altersgenossen noch nicht einmal klar sein dürfte, wo sie ihr Schülerpraktikum absolvieren möchten. Wie dem auch sei: Der Auftritt an der Seite Gabriels hat Schoenmakers Bekanntheit mindestens in den Reihen der SPD schlagartig gesteigert.
Kritik an „Mäkelnden Rentnern“
Sie sind der Einladung des SPD-Parteichefs via facebook gefolgt: Die drei Studenten Julian Hödt, Luca Mross und Nico Kisic. Alle drei kommen aus Berlin, sind 20 Jahre alt und in keiner Partei aber politisch interessiert. Die Atmosphäre beim Zukunftskongress fanden sie gut. „Aber die Mehrheit der Zuhörer war doch naiv“, fand Kisic. Die Forderungen, die manche an die Politiker gestellt hätten, seien so einfach nicht durchzusetzen. Hödt fand schade, dass im Gespräch mit Bundesarbeitsministerin Nahles zum Thema Rente viele Zuhörer „gemäkelt“ hätten. „Dabei sind wir doch die Generation, die Probleme mit der Rente kriegt“, so der Jura-Student. Dieses Verhalten der Älteren halte ihn und seine Freunde auch ab, sich in einer Partei zu engagieren. Luca Mross, der Wirtschaft und Recht studiert, kritisierte etwas zu viel Eigenlob der Partei. „Man hat schon gemerkt, dass bald Bundestagswahl ist.“ Die nächste Einladung zum politischen Dialog werden die Drei aber auf jeden Fall wieder annehmen.
Neu-Mitglied aus Düsseldorf
Lilian Meyer-Truelsen saß an diesem Tag schon um 5.52 Uhr in der Früh im Zug. Die Angestellte in einer Notariats-Kanzlei kam extra aus Düsseldorf zum SPD-Zukunftskongress. „Ich finde es toll. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Denn es war total spannend für mich, all diese Politiker mal selbst zu treffen“, freute sich Meyer-Truelsen. Sie ist seit September dieses Jahres Parteimitglied und war sehr erstaunt, wie schnell sie Kontakte knüpfen konnte. „Ich habe beim Mitgliederfragebogen angekreuzt, dass ich mich für Migration interessiere und Zack hatte ich eine Einladung in der Post zu einer Veranstaltung mit Hannelore Kraft genau zu dem Thema.“ Sie ging hin und folgte jetzt sogar der Einladung nach Berlin. „Ich will mich gerne intensiver einbringen“, sagt die resolute Frau. In Schwung gekommen ist ihr Engagement durch eine ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen. „Ich habe zwei Syrer begleitet, man könnte sagen, ein bisschen betütelt“, schildert sie. „Wir waren im Museum und auf der Kirmes, ich wollte ihnen helfen, sich einzuleben.“
Platz für den Nachwuchs
Kinderwagen, Väter und Mütter mit dem Nachwuchs im Tragetuch vor dem Bauch und bunt geschminkte Gesichter: Auch viele Kinder waren beim Zukunftskongress im Willy-Brandt-Haus. Betreuer von der „Gummibärchen-Crew“ kümmerten sich im 4. Obergeschoss – passenderweise gleich neben der „Session#3 Leben und Familie“ – um rund 30 bis 40 Mädchen und Jungen.
Schräge Sache, das Ehegattensplitting
„Einfach ungerecht“ findet eine Besucherin der „Session#3 Leben und Familie“ das derzeitige Steuerrecht. Als alleinerziehende Mutter sei sie klar im Nachteil gegenüber kinderlosen Ehepaaren. „Das ist doch nicht fair, ich trage doch auch etwas für die Zukunft des Landes bei, indem ich meinen Sohn groß ziehe.“ Sie fordert die Abschaffung des Ehegattensplittings. Da konnte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig nur heftig nicken: „Das ist eine ziemlich schräge Sache.“ Die die SPD ändern will. „Wir wollen einen Familientarif einführen. Steuerlich Begünstigungen sollen immer dort greifen, wo Kinder sind, egal ob die Eltern verheiratet sind, in einer Partnerschaft leben oder allein erziehend sind.