Wolfgang Roth gestorben: ein Sozialdemokrat und Banker mit Herz
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Viele Menschen werden um den langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Roth trauern. Er ist am 4. Juli mit 80 Jahren in Bonn gestorben ist. Er wird nicht nur seiner Familie fehlen, denn er und seine Frau Hana hatten eine Begabung zur Freundschaft. Sie führten ein gastfreundliches Haus voller Bücher und Bilder in der Bonner Südstadt. Dort trafen sich die unterschiedlichsten Menschen, diskutierten bei Wein und gutem Essen intensiv über Politik, Kunst, das Leben und natürlich über Wolfgang Roths Partei, die SPD. Und wenn die Meinungen – wie häufig in diesem Kreis – heftig aufeinander prallten, dann freuten sich die Gastgeber, denn das Wort „Streitkultur“ nahmen sie ernst.
Es waren Politiker*innen, Künstler*innen, Journalist*innen, die zusammen am großen Esstisch vor vollen Tellern aßen, lachten, stritten, die Welt verbessern wollten und sich wohl und willkommen fühlten. Der Sozialdemokrat aus Pforzheim in Baden-Württemberg war längst ein Bonner geworden, allerdings mit ausgeprägtem schwäbischem Dialekt, den er auch nach Jahrzehnten in Nordrhein-Westfalen nicht verleugnen konnte und wollte.
Vom Juso-Chef zum Banker in Luxemburg
Vom Juso-Chef in den frühen 70er Jahren bis zum Banker in Luxemburg – das war wirklich ein weiter Weg, der ihn erstaunlich wenig verändert hat. Er blieb ein guter Freund, zuverlässig, hilfsbereit, fürsorglich nicht nur innerhalb der Familie. Wer sich hilfesuchend an ihn wandte, konnte mit tatkräftiger Unterstützung rechnen. Das waren allerdings Tugenden, die er – wenn man ihn darauf ansprach – gerne hinter Sarkasmus verbarg.
Welchem „Flügel“ der SPD er angehörte, war schwer zu sagen. Ein Bonner Journalist hat über ihn geschrieben, er sei „gewiss ein linker Sozialdemokrat, aber ein moderater, mit dem man reden konnte“. Erstaunlich früh, früher als viele andere Politiker*innen seiner und anderer Parteien, setzte er sich mit ökologischen Themen auseinander. Als Pragmatiker, der er war, sah er hier auch ökonomisch einen Wachstumsmarkt und keinen Gegensatz.
Wirtschaftspolitik für Mensch und Umwelt
Die SPD Baden-Württemberg schrieb zu seinem Tod: „Wolfgang Roths Lebensfreude, seine Leidenschaft für die politische Arbeit und die große Aufgabe Sozialdemokratie sowie sein Einsatz für eine Wirtschaftspolitik, die alle Menschen und auch unsere Umwelt mitnimmt, wird uns allen fehlen.“ Solche Sätze finden sich häufiger in Nachrufen auf Politiker*innen, doch auf Wolfgang Roth treffen sie zu. Er war Sozialdemokrat durch und durch, das blieb er auch als Banker in Luxemburg.
Zweifellos war Wolfgang Roth ein Pragmatiker. Man muss die Realität sehen und dann das Beste daraus machen, war sein Credo. Von Wunschdenken und Höhenflügen hielt der Pragmatiker nicht viel, schon gar nicht in der Politik oder der Ökonomie. Höhenflüge erlaubte er sich höchstens, wenn es um seine große Leidenschaft, die Musik ging. In Konzertsälen waren seine Frau und er zu Hause, ebenso in den Buchläden der Stadt.
Er konnte auch zuhören
Bis kurz vor seinem Tod war er neugierig auf anders denkende Menschen. Seine Lust an – nicht nur – politischen Diskussionen war deshalb immer sympathisch, denn er vertrat nicht nur seine Ansichten mit Leidenschaft, er konnte auch zuhören.
Natürlich fand er nicht alles gut, was seine SPD im Laufe der vielen Jahrzehnte, in denen er aktiv war, vertrat. Er war vor allem bei ökonomischen Themen eher auf der Seite von Helmut Schmidt als bei den linken Parteifreund*innen. Aber er war immer ein loyaler Genosse. Im Zweifel biss er eher die Zähne zusammen, selbst in seinen „wilden Zeiten“ als Juso und später als Juso-Vorsitzender von 1972 bis 1974.
Mitglied des Bundestages und des SPD-Vorstandes
Über diese Juso-Jahre hat er später voll Stolz geschrieben: „Eine Öffnung zur Achtundsechziger-Bewegung war angesagt. Niemals zuvor und später gab es so viele Parteieintritte von jungen Leuten. Aber: Die Behandlung durch die Vorgänger und vieler älterer Sozialdemokraten war nicht zimperlich.“
Wolfgang Roths Politikkarriere begann früh. Schon mit 35 Jahren – von 1976 bis 1993 – saß er im Bundestag. Von 1973 bis 1979 und noch einmal von 1982 bis 1991 war er Mitglied im Parteivorstand der SPD. Später wurde Roth Aufsichts- und Verwaltungsrat bei verschiedenen Banken. Von den Linken in der Partei wurde ihm das zeitweise übel genommen.
Ein sehr zugewandter und mitfühlender Mensch
Ute Vogt, Wolfgang Roths Nachfolgerin im Wahlkreis Pforzheim in Baden-Württemberg, hat zu seinem Tod geschrieben: „Er war wortgewaltig und durchsetzungsstark, auch ein sehr zugewandter und mitfühlender Mensch. Wer ihn überzeugt hatte, konnte sich zu 100 Prozent auf ihn verlassen.“ Genau so sahen ihn viele Kolleg*innen und Freund*innen.
Wolfgang Roth war gewiss kein einfacher Mensch. Aber die unterschiedlichsten Weggefährt*innen rühmen alle eine Eigenschaft Roths besonders: seine Verlässlichkeit und sein Einsatz für Menschen, die Hilfe brauchen. Der baden-württembergische SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch nannte ihn einen Vorreiter einer sozialen und zugleich nachhaltigen Wirtschaftspolitik: „Wolfgang Roths Lebensfreude, seine Leidenschaft für die politische Arbeit und die große Aufgabe Sozialdemokratie sowie sein Einsatz für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik, die alle Menschen und eben auch unsere Umwelt mitnimmt, wird uns allen fehlen. Er war auf diesem Gebiet ein Vordenker.“
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.