Am Wochenende wählt die SPD-AG für Arbeitnehmerfragen (AfA) einen neuen Vorsitzenden. Einziger Kandidat ist der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel. Im Interview mit vorwärts.de spricht er über seine Ziele und sagt, warum die Gewerkschaften überlebenswichtig sind.
vorwärts.de: Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Tarifabschlüsse sind hoch. Den Arbeitnehmern in Deutschland scheint es gut zu gehen.
Klaus Barthel: Ich denke, der Schein trügt. Die Zahlen sind bei weitem nicht so gut, wie es uns viele weismachen möchten. Wenn man genauer hinsieht, merkt man schnell, dass es auf dem Arbeitsmarkt riesige Probleme gibt. Ein zunehmender Teil der Arbeitnehmer ist im Niedriglohnbereich oder befristet beschäftigt. Auch Leiharbeit und Werkverträge breiten sich aus. Für die AfA bleibt da noch viel zu tun.
Sie haben aber auch bereits eine Menge erreicht. Die SPD hat ihre Positionen in vielen Bereichen – etwa bei der Rente mit 67 – denen der AfA angepasst.
Das stimmt. Die Beschlüsse des letzten Parteitags, mit denen wir die so genannte Arbeitsmarkflexibilisierung korrigiert haben, liegen genau auf der Linie der AfA der vergangenen Jahre. Das ist ein großer Erfolg und eine Bestätigung. Vor allem aber sind wir sehr froh, dass die SPD verstanden hat, dass ihre Beschlüsse schädlich waren und korrigiert werden mussten. Letztendlich werden wir damit auch bei den Arbeitnehmern gut werben können. Bei der Frage der Rente müssen wir noch weiter arbeiten.
Sie haben 2007 im Bundestag gegen die Einführung der Rente mit 67 gestimmt. Wird sie das zentrale AfA-Thema werden, wenn Sie Vorsitzender sind?
Die Voraussetzungen für die Rente mit 67 sind überhaupt nicht gegeben. Deshalb werden wir uns auf jeden Fall weiter kritisch mit ihr auseinandersetzen. Wir wollen uns aber nicht nur auf dieses eine Thema fixieren. Der gesamte Bereich der Altersvorsorge ist für uns wichtig. Wie können wir Altersarmut vorbeugen? Wie können wir den Lebensstandard im Alter sichern? Das werden die zentralen Fragen der Zukunft sein. Die Altersvorsorge darf nicht auf das Niveau einer Mindestgrundsicherung gedrückt werden. Dafür werden wir uns das gesamte Rentensystem noch mal ansehen müssen.
Schwerpunkt des Bundeskongresses am Wochenende ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz. Gibt es keine dringenderen Themen?
Wir haben uns schon vorgenommen, die „klassischen“ Themen zu bearbeiten wie Arbeitsmarkt, Rente oder die Bürgerversicherung im Gesundheitswesen. Aber wir wollen uns nicht nur um Verteilung kümmern, sondern auch um die konkrete Situation in den Betrieben. In den letzten Jahren ist die in der politischen Debatte etwas in den Hintergrund getreten, weil es vorrangig darum ging, überhaupt erstmal mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wichtig ist aber auch die Qualität der Arbeit und dass sie die Menschen nicht krank macht. Bisher werden diese Aspekte leider zu wenig gesehen. Das wollen wir ändern.
Hält die AfA am Ziel der Vollbeschäftigung fest?
Auf jeden Fall! Der hohe Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit macht uns große Sorgen, ebenso die große Zahl junger Menschen ohne abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung. Da müssen wir dringend ran!
Sie selbst haben einen starken verdi-Hintergrund. Wie wichtig ist für AfA und SPD die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften?
Für die AfA und ich denke auch für die SPD ist die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften eine Lebens- und Überlebensfrage. Dasselbe gilt für die Betriebs- und Personalräte. In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis glücklicherweise deutlich verbessert. Es bleibt aber trotzdem noch viel zu tun, um das Vertrauen weiter zu stärken. Wir brauchen die Unterstützung der Gewerkschaften und die Erfahrungen aus den Betrieben dringend.
Ist der Wille zur Zusammenarbeit auf beiden Seiten vorhanden?
Ja, ich sehe den deutlichen Willen auf beiden Seiten. Sigmar Gabriel macht ja auch immer wieder deutlich, wie wichtig ihm das Verhältnis zu den Gewerkschaften ist. Dieses Signal ist angekommen. Entscheidend wird sein, dass das, was in den Gewerkschaften diskutiert wird, auch in der SPD ankommt. Die AfA spielt dabei aus meiner Sicht eine wichtige Rolle. Und die Gewerkschaften haben auch gemerkt, dass sie „die Politik“, also gesetzgeberische Maßnahmen, brauchen, um sich gegenüber den Arbeitgebern durchsetzen zu können. Die SPD ist da für sie wieder der wichtigste Ansprechpartner.
Der „Tag der Arbeit“ steht dieses Jahr unter dem Motto „Gute Arbeit für Europa“. Können nationale Institutionen zunehmend internationalen Anforderungen überhaupt noch gerecht werden?
Wir brauchen ein Zusammenspiel. Auf der nationalen Ebene müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Ich möchte in der AfA dafür werben, dass wir uns darüberhinaus stärker in die europäische und die weltwirtschaftliche Dimension einbringen. Der Diskussionsbedarf über die Folgen der Finanzkrise auf die Arbeitnehmerschaft ist riesig. Wir lehnen z.B. den Fiskalpakt in seiner derzeitigen Fassung als Ausdruck einer einseitigen Umverteilungspolitik ab. Die AfA wird dazu beitragen müssen, dass sich politische und gewerkschaftliche Arbeit internationalisiert.
Unter dem bisherigen Vorsitzenden Ottmar Schreiner hatte die AfA den Ruf, etwas renitent zu sein. Wie wird sie sich mit Klaus Barthel an der Spitze präsentieren?
Die AfA hat insgesamt immer deutlich gemacht, dass ihre Wurzeln in der Arbeitnehmerschaft sind. Daraus hat sie eine eigene Willensbildung und eine inhaltliche Eigendynamik entwickelt. Kritik ist für uns aber kein Selbstzweck. Wir fühlen uns durch die Entwicklung der letzten Jahre in unseren Positionen bestätigt. Vieles von dem, was wir lange gefordert haben, gehört mittlerweile zum Alltagsgeschäft der SPD. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Die Positionen und Meinungen aus den Betrieben werden wir auch weiterhin in die Partei hineintragen. Wo es nötig ist, werden wir auch widersprechen. An unseren politischen Inhalten ändern sich auch mit dem Wechsel an der Spitze nichts.
Klaus Barthel ist seit 1994 Bundestagsabgeordneter der SPD für den Wahlkreis Starnberg. Der 56-Jährige war zuvor Gewerkschaftssekretär bei der ÖTV. Barthel ist Landesvorsitzender der AfA Bayern.
www.barthel-spd.de
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.