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Wie zwei SPD-Landtagsabgeordnete Geflüchteten aus der Ukraine helfen

Florian Schneider und Oliver Ulloth sind für die SPD im hessischen Landtag. Angesichts des Krieges in der Ukraine wollten sie nicht nur politisch, sondern auch persönlich helfen – und machten sich auf den Weg.
von Jonas Jordan · 4. März 2022
Unterwegs in Richtung ungarisch-ukrainische Grenze: Die beiden hessischen SPD-Landtagsabgeordneten Oliver Ulloth (l.) und Florian Schneider.
Unterwegs in Richtung ungarisch-ukrainische Grenze: Die beiden hessischen SPD-Landtagsabgeordneten Oliver Ulloth (l.) und Florian Schneider.

Dienstagmorgen 4 Uhr im Landkreis Kassel in Nordhessen. Es ist noch dunkel, als Florian Schneider und Oliver Ulloth aufbrechen zu einer 3.000 Kilometer langen Reise, quer durch sechs europäische Länder und wieder zurück. Doch die beiden SPD-Landtagsabgeordneten sind nicht als Touristen unterwegs. Sie fahren in einem Konvoi mit insgesamt sechs Fahrzeugen an die ungarisch-ukrainische Grenze, um den vor dem Krieg fliehenden Menschen vor Ort zu helfen. „Wir waren am Sonntag – wie jeden Tag zuvor – unterwegs auf Mahnwachen im Landkreis. Irgendwann kam der Gedanke auf, in der Frage mal konkret zu werden“, beschreibt Ulloth die Überlegungen der beiden Sozialdemokraten.

Gut vorbereitet an die ukrainisch-ungarische Grenze

Sie schließen sich mit weiteren hilfsbereiten Freiwilligen zusammen, ein Bündnis von einem Dutzend Menschen aus Sport, Politik und Kirche. Den Montag verbringen die beiden damit, im gesamten Landkreis Hilfsgüter einzusammeln: in einer Klinik, in einer Grundschule, von Hilfsorganisationen. Auf dem Rückweg wollen sie Geflüchtete mitnehmen. „Es war wirklich durchdacht. Wir hatten Material dabei, bei dem wir wussten, das ist wichtig“, sagt Schneider. Dazu gehören Trockenlebensmittel, medizinisches Equipment, Taschenlampen, Batterien, auch Kleidung. „Es gibt einige Organisationen, die gut sortiert sind und uns Hilfe angeboten haben. Man muss sich fragen: Was bräuchte ich am meisten, wenn ich in einer Stadt sitze, in der es kein Wasser und keinen Strom gibt?“, erzählt Ulloth.

Gemeinsam mit Schneider sitzet er am Dienstagmorgen selbst am Steuer eines Kleinbusses, sie wechseln sich mit dem Fahren ab. „Wir wussten, wo wir hinfahren wollen. Wir haben uns bewusst für Ungarn und nicht für Polen entschieden, weil wir über die Medien mitbekommen haben, dass die polnische Grenze total überlaufen ist“, erzählt Schneider. Über persönliche Kontakte erhalten sie schon im Vorfeld eine Liste mit Namen und Geburtsdaten der Menschen aus der Ukraine, die sie später mit nach Nordhessen nehmen werden. Diese kommen dort privat bei Familien unter, die ihre Wohnungen für die Kriegsflüchtlinge zur Verfügung gestellt haben.

Schneider: „Es war der richtige Weg“

„Falls irgendeine der privaten Unterkünfte spontan ausgefallen wäre, hätte der Landkreis dafür gesorgt, dass die Menschen vorläufig in eine Gemeinschaftsunterkunft gekommen wären. Man braucht immer eine Absicherung für alles, was man macht“, mahnt Ulloth. Die akribische Organisation im Vorfeld zahlt sich aus. Als die Nordhessen mit ihrem Konvoi das Grenzgebiet erreichen, ist es schon Abend. Trotzdem geht alles ziemlich schnell. „Wir waren gerade fertig mit dem Entladen der Hilfsgüter. Da bekamen wir die Information, dass sie jetzt loslaufen und noch eine Stunde brauchen, um von ihrem Punkt über die Grenze zu kommen, sodass das echt reibungslos funktioniert hat. Das hat uns gezeigt: Es war der richtige Weg, an die ukrainisch-ungarische Grenze zu fahren“, sagt Schneider.

Es sei ihnen wichtig gewesen, dass die Menschen nicht zu lange in der Kälte warten müssen, berichten die beiden. In der Region sinkt die Temperatur in diesen Tagen auf minus zwei Grad, die Malteser haben Zelte aufgebaut, in denen sich die Menschen aufwärmen und heiße Getränke bekommen können. Denn viele sind seit Tagen unterwegs, aus den umkämpften Städten wie Kiew oder Charkiw. Unter ihnen sind viele Kinder, so wie der fünfjährige Bagdan, der an diesem Tag seinen fünften Geburtstag hat. Er sitzt später bei Schneider und Ulloth im Auto auf dem Weg in Sicherheit. 

Singen, Weinen, Erschöpfung

Um kurz vor 23 Uhr startet der Konvoi aus dem Grenzgebiet zurück nach Nordhessen, in den Bussen sind 33 Menschen. Viele sind erschöpft, wollen erst einmal schlafen. „Als die Sonne aufging und die Kinder wach geworden sind, sind wir in den Dialog getreten, haben uns ausgetauscht und erfahren, woher sie kommen und welchen Weg sie zurückgelegt haben“, erzählt Schneider. Während der weiteren Fahrt wechseln sich Lachen, Gesang, Weinen ab. Bagdan ruft abwechselnd nach Papa und Oma. „Jeder, der Kinder hat, versteht spätestens dann, was in ihnen vorgeht. Sie waren emotional völlig zerrissen“, sagt Ulloth.

Am späten Nachmittag erreichen sie Wolfhagen, eine Kleinstadt im Landkreis Kassel. Vor Ort ist ein Büffet aufgebaut, es gibt Kaffee. „Ich fand es total wichtig, als wir in Wolfhagen angekommen sind, dass sie gesehen haben, sie werden erwartet“, sagt Schneider und berichtet von einer besonders emotionalen Situation: „Ein Junge reichte mir mit Tränen in den Augen seine Hand und sagte Danke. Er war neun oder zehn. Das war ein Gänsehautmoment und hat mich bestärkt, dass es richtig war, dort hinzufahren.“

Eine Botschaft an Putin

Für Oliver Ulloth ist ihre Hilfsaktion auch ein Akt der Völkerverständigung. Denn gerade in der aktuellen Situation dürfe sich die Gesellschaft nicht spalten lassen. „Meine Frau ist Russin. Sie ist am Mittwochabend, bevor der Krieg begann, aus Russland zurückgekommen. Dort hat sie erlebt, was im Fernsehen passiert, was gesagt wird und wie es gesagt wird.“ Während der Fahrt nach Nordhessen telefonieren Ulloths Frau und eine Ukrainerin im Auto miteinander. Sie unterhalten sich, ohne jeden Groll aufeinander. „Das ist ein Krieg, der von Putin zu verantworten ist und nur von ihm. Das ist meine Botschaft in Richtung der Regierung in Russland.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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