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Wie Weggefährt*innen Johannes Rau erlebten

Ende Januar jährte sich der Todestag von Johannes Rau zum 17. Mal. Bereits einige Tage zuvor warfen ehemalige Weggefährt*innen und Wissenschaftler*innen im Rahmen einer Tagung zum Wirken Raus den Blick zurück.
von Hendrik Schlüter · 22. Februar 2023
Lebhafte Podiumsdiskussion über Johannes Rau: „Er wollte nicht die Soße der Harmonie über die Konflikte der Welt gießen.“
Lebhafte Podiumsdiskussion über Johannes Rau: „Er wollte nicht die Soße der Harmonie über die Konflikte der Welt gießen.“

Johannes Rau war von den 1980er Jahren bis in die frühen Nullerjahre eine der prägendsten Figuren im politischen Geschehen der Bundesrepublik. In diesem Zeitraum bekleidete er die Position des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen (1978-1998) und die des Bundespräsidenten (1999-2004). Auch aufgrund seiner einnehmenden Persönlichkeit sowie seiner ausgeprägten Bereitschaft zum Dialog und zum Meinungsaustausch wirkt der SPD-Politiker bis heute nach.

2004 unterstrich er – damals als Bundespräsident – in einer Rede anlässlich des Wolfenbütteler Festaktes zum 275. Geburtstag des Dichters Gotthold Ephraim Lessing: „Toleranz ist nicht Beliebigkeit. Toleranz und Respekt bedeuten ja gerade, dass man die Existenzberechtigung anderer Überzeugungen … akzeptiert, die man nicht für richtig hält.“

Tagung in Raus Geburtsstadt

Am 27. Januar jährte sich der Todestag von Johannes Rau zum 17. Mal. Kurz zuvor, am 20. und 21. Januar, fand unter dem Titel „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Johannes Rau (1931-2006) und sein Wirken in politischer und wissenschaftlicher Perspektive“ in Wuppertal eine Tagung zum ehemaligen Bundespräsidenten statt. Der Veranstaltung der Bergischen Universität Wuppertal (BUW), der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Johannes-Rau-Gesellschaft diente das im Juli vergangenen Jahres eröffnete Johannes Rau-Zentrum der BUW als Räumlichkeit. Das Herzstück des Neubaus bildet die Johannes Rau-Bibliothek, die sechs- der insgesamt etwa fünfzehntausend Bücher aus dem Privatnachlass Raus Platz bietet. Darunter befinden sich zahlreiche Exemplare mit persönlichen Widmungen.

Anlässlich der Tagung waren neben Raus Witwe Christina auch zahlreiche Bekannte und Weggefährt*innen des ehemaligen Bundespräsidenten in seiner Geburtsstadt Wuppertal zu Gast. Reiner Hoffmann wuchs nur wenige Häuserblöcke entfernt vom Elternhaus Johannes Raus auf und war auch im selben SPD-Ortsverband aktiv. Hoffmann, stellvertretender Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, bezog sich in seiner Begrüßungsrede auf die Gründung der Gesamthochschulen in NRW zu Beginn der 70er-Jahre durch Johannes Rau und würdigte diese als eine Errungenschaft sozialdemokratischer Politik. Aus der in diesem Kontext gegründeten Gesamthochschule Wuppertal wurde später die BUW.

Das „System Rau“

Der Historiker Ulrich Heinemann hob in seinem Vortrag Johannes Raus „Fähigkeit Beziehungen zu knüpfen“ hervor. Der SPD-Politiker habe Zeit seines politischen Lebens stets auf ein umfangreiches Netzwerk zurückgreifen können. Heinemann nannte dies, wie auch in der Veröffentlichung „Johannes Rau – Annäherung an eine politische Biografie“, ein „System Rau“.

Der erste Tag der Tagung klang mit einer lebhaften Podiumsdiskussion aus. Dort schilderten u.a. SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan sowie Christoph Habermann und Rüdiger Frohn, stellvertretender Chef und Chef des Bundespräsidialamts unter Rau, ihre Eindrücke von der Person Johannes Rau. „Ich hatte nie das Gefühl: Jetzt ist er nicht bei mir“, verdeutlichte Nietan. Auch Habermann betonte das Zwischenmenschliche an Johannes Rau: „Er wollte, dass die Menschen ernstgenommen werden.“ Gleichzeitig wurde deutlich, dass es Rau dabei nie um Konfliktvermeidung ging. „Er wollte nicht die Soße der Harmonie über die Konflikte der Welt gießen“, so Frohn.

„Versöhnen statt Spalten“

Norbert Walter-Borjans, langjähriger Regierungssprecher des Ministerpräsidenten Johannes Rau, kam in einer Videobotschaft zu Wort. Er führte den Anwesenden mit einer Anekdote zu den grundverschiedenen Lieblingszeitungen im Trio Frohn, Habermann und Walter-Borjans den Meinungspluralismus im engsten beruflichen Umfeld von Ministerpräsident Rau vor Augen. Nicht weniger anschaulich brachte die Vorsitzende der Johannes-Rau-Gesellschaft, Gabriele Behler, zum Ausdruck, dass der langjährige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sich auch heute noch als Ausgangspunkt für wichtige Denkanstöße zu aktuellen Debatten anbietet. So sei es Rau immer ein Anliegen gewesen, dass die Individuen einer Gesellschaft nicht zu Objekten des Fortschritts würden.

Ein wichtiger Teil der Tagung war der konstruktive Austausch zwischen Zeithistoriker*innen und Zeitzeug*innen. Dabei war es – auch angesichts der Polarisierungstendenz innerhalb der Gesellschaft – vielen Anwesenden wichtig, Raus von Toleranz und Kompromissfähigkeit geprägten politischen Stil ganz nach dessen Leitsatz „Versöhnen statt Spalten“ in den Vordergrund zu stellen.

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Autor*in
Hendrik Schlüter

studiert Angewandte Kultur- und Wirtschaftsstudien: Deutsch-Französisch an der Bergischen Universität Wuppertal.

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