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Wie SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz beim Wahlkampf in Leipzig überzeugt

Viele Medien kritisieren den bisherigen Wahlkampf als langweilig. Dann waren sie vermutlich noch nicht mit Martin Schulz unterwegs. Der Kanzlerkandidat der SPD zeigt in Leipzig, wie ein angriffslustiger Wahlkampf aussehen kann. Und wie man auch sehr hohe Erwartungen erfüllt.
von Lars Haferkamp · 29. August 2017
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Als Martin Schulz am Dienstagnachmittag zum Wahlkampfauftritt nach Leipzig kommt, ahnt er nicht, wer ihn dort erwartet. Auf dem Nikolaikirchplatz vor der großen SPD-Bühne sitzt auf der Bank in Reihe Fünf in der strahlenden Augustsonne Christian Wolff (67). Von 1992 bis 2014 war er Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig. Jetzt ist er im Ruhestand. Und hat hohe Erwartungen an den Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten in der Sachsen-Metropole.

Hoffnung auf neue Motivation durch Schulz-Rede

Dafür hat Wolff gute Gründe: Zum einen ist er als Theologe und Prediger generell sehr interessiert an Reden, von denen er sich Inspiration für seine eigenen erhofft. „Ich liebe Wahlkampfreden“, sagt er. Zum anderen ist er Sozialdemokrat. 1970 trat der gebürtige Düsseldorfer in die Partei ein, „wegen der Friedenspolitik Willy Brandts“.

Martin Schulz hat ihn Anfang des Jahres sehr „an Willy Brandt erinnert – dieser neue Ton, diese neue Sprache, ich war begeistert“. Aber dann kam das Ende des Schulz-Hypes, die SPD habe ihren Kandidaten „ab März irgendwie versteckt“, glaubt Wolff. Das habe ihm als einfachem Genossen wirklich zugesetzt. Von Schulz’ Rede erwartet er deshalb nicht weniger als neuen Mut und neue Motivation für den Wahlkampf.

Der zukünftige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland

Die Voraussetzungen dafür scheinen zumindest rein äußerlich nicht schlecht. 28 Grad im Schatten zeigt das Thermometer, die Sonne strahlt am wolkenlosen Himmel, ein ganz leises Lüftchen weht. Und der Nikolaikirchplatz in Leipzig ist gut gefüllt, über 1000 Interessierte und Parteifreunde sind zu „Martin Schulz live“ gekommen. 

Dann ist es endlich soweit. Moderator Klaus Tovar kündigt an, nun komme „der zukünftige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Martin Schulz“. Der kommt nicht, wie viele erwarten, so wie der Moderator hinter einem Vorhang auf die Bühne. Nein, vorn auf der Bühne passiert gar nichts und die Anwesenden drehen etwas irritiert die Köpfe nach hinten.

Schulz zeigt sich selbstbewusst und kämpferisch

Schulz kommt direkt über den Platz, er bahnt sich seinen Weg mitten durch die Menge. „Martin! Martin!“, rufen die Jusos. Rote SPD-Fahnen, rote Luftballons mit „Schulz 2017“-Aufdruck und blaue Schilder mit dem Slogan „Gemeinsam für Europa“ werden in die Höhe gehalten. Smartphones filmen und fotografieren den Kandidaten. Der lächelt und winkt, schüttelt Hände, spricht kurz mit einigen Zuschauern, die ihn anfeuern oder ihm eine Hand auf die Schulter legen.

Und dann beginnt er seine Rede, von der Christian Wolff so viel erwartet. „Deutschland geht es gut, wenn die SPD regiert. Aber Deutschland geht es besser, wenn ein Sozialdemokrat Bundeskanzler ist.“ Martin Schulz zeigt sich selbstbewusst und kämpferisch. Das kommt an. Applaus brandet auf und auch Christian Wolff klatscht kräftig in die Hände.

Merkels Kampfansage bei der Rente

Der Kandidat geht die Kanzlerin direkt an. Deren Behauptung, in der Rente gebe es bis 2030 keinen Handlungsbedarf, sei „eine Kampfansage an eine ganze Generation“. Statt die höchsten Beiträge und die geringste Rente, wie es die Union plane, werde die SPD einen neuen Generationenvertrag und die Solidarrente durchsetzen. „Würde im Alter ist Staatsaufgabe Nummer Eins“, ruft Martin Schulz ins Publikum. Das applaudiert kräftig, Christian Wolff ruft sogar laut „Bravo!“.

Die SPD werde den Staat zu Investitionen in die Zukunft verpflichten, verspricht Schulz. Dafür werde er die 30 Milliarden Euro Steuerüberschüsse verwenden. „Damit die Menschen nicht erst ihren Job verlieren, dann ihren Stolz und am Ende ihre Würde.“ Richtung Merkel macht er klar: „Ausruhen ist nicht! Investieren!“ Applaus brandet auf, auch bei Christian Wolff.

Klare Kante gegen Rechts

Den stärksten Beifall an diesem Dienstag bekommt Martin Schulz immer dann, wenn er klare Kante gegen Rechts zeigt. In Anspielung auf US-Präsident Donald Trump spricht er von „Typen, denen jede Niedertracht zuzutrauen ist“ und ruft dazu auf sich „solchen Leuten in den Weg zu stellen“. Noch ehe Schulz diesen Satz beendet, ist Christian Wolff der erste auf dem Platz, der applaudiert und damit dem Startschuss gibt zu kräftigem langanhaltenden Beifall.

Jetzt hat Schulz das Publikum gepackt. Und er fährt fort. Mit Kritik an Merkel. Die distanziere sich nur schwammig und unkonkret von Trump. „Wer nicht gewillt ist, sich von Nazimethoden zu distanzieren, dem kann man sehr wohl sagen: Ihre Politik wird niemals die Politik der Bundesrepublik Deutschland werden!“ Großer Applaus im Publikum, Bravo-Rufe gehen über den Platz, einer kommt von Christian Wolff.

Schulz: AfD ist eine Schande für unsere Nation

Wo Schulz gerade dabei ist, knöpft er sich die AfD vor. Er erinnert an die unsäglichen Äußerungen von Bernd Höcke zur deutschen Erinnerungskultur und von Alexander Gauland über die Integrationsstaatsministerin. „Die AfD ist keine Alternative für Deutschland, sie ist eine Schande für unsere Nation“, ruft Martin Schulz und bekommt kräftigen Applaus. Er erinnert an Artikel 1 des Grundgesetzes. In dem heiße es, die Würde den Menschen ist unantastbar, da stehe nicht, die Würde des Deutschen ist unantastbar. „Das stammt von Johannes Rau“, erklärt der applaudierende Rhetorikexperte Wolff.

Nachdrücklich bekennt sich Martin Schulz zu einem „europäischen Deutschland“. Um dafür zu arbeiten, sei er in die Politik gegangen. Als Kanzler wolle er mit aller Kraft kämpfen für „ein starkes Europa“. „Buh“, tönt es darauf aus einer kleinen Gruppe rechter Störer. Schulz nimmt es mit Humor: „Wenn gute Argumente Glückssache sind, dann seid ihr von einer Pechsträhne verfolgt“, ruft er der Gruppe zu. Das Publikum lacht schallend.

Kämpfen bis zum 24. September um 18 Uhr

Der Kandidat verabschiedet sich mit dem Versprechen: „Wir werden kämpfen bis zum 24. September um 18 Uhr.“ Applaus und Jubel branden auf, die Sitzenden erheben sich zu standing ovations, auch Christian Wolff applaudiert jetzt stehend. Martin Schulz strahlt. Er winkt in die Menge und hält immer wieder den Daumen nach oben. In Leipzig hat er sein Publikum erreicht.

Aber konnte er auch die hohen Erwartungen von Christian Wolff erfüllen? Oft sind ja treue Anhänger die härtesten Kritiker. „Die Latte lag hoch, aber Schulz sie genommen“, sagt Wolff und er klingt selbst ganz erleichtert dabei. Doch ehe die Euphorie noch mit ihm durch geht, urteilt er wieder ganz sachlich als Rhetorik-Experte. „Die Rede war sehr gut und überzeugend.“ Besonders die Passagen zu Trump und der AfD haben ihm gut gefallen. „Da muss sich Schulz auch nicht so zurückhalten wie Außenminister Gabriel.“

Stärkere persönliche Zuspitzung gegen Merkel

Nur ganz ohne Kritik kann Wolff den Kandidaten dann doch nicht davon kommen lassen. „Ich hätte mir eine noch stärkere persönliche Zuspitzung gegen Merkels Nichtstun gewünscht“, sagt er. „Sie ist nicht unangreifbar, das ist ihre Schwachstelle.“ Nun hofft Christian Wolff auf das TV-Duell zwischen Schulz und Merkel am Sonntag. Und auch da sind seine Erwartungen an den Kanzlerkandidaten wieder hoch: „Er muss Merkel stellen.“

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