Wie Sigmar Gabriel die politische Kultur der SPD erneuern will
„Die bösen Neoliberalen“ – Sigmar Gabriel, Wirtschaftsminister und SPD-Chef, steht auf einer Bühne der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin und sagt diese Worte mit einem leicht ironischen Unterton. Worauf er jedoch hinaus will, ist sein voller Ernst: Durch den Neoliberalismus der vergangenen Jahrzehnte sei die Gleichheit in der Gesellschaft zu stark aus dem Blick geraten, findet Gabriel. Auch die Sozialdemokratie habe sich davon anstecken lassen – aus Angst davor, dass „Gleichheit“ als „Gleichmacherei“ missverstanden werde, habe die SPD den Begriff lieber vermieden.
Zumindest bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ist damit diese Woche Schluss: Gleich zwei volle Tage hat ihre Berliner Zentrale dem Kongress „Mehr Gleicheit“ gewidmet. Mit dabei sind Wissenschaftler, Gewerkschafter, Politiker und Aktivisten.
Schluss mit „vererbten Privilegien“
Die „revolutionäre Kraft“, die in dem Begriff „Gleichheit“ stecke, werde oft vergessen, betont Gabriel am Dienstag zu Beginn seiner Rede. Sozialdemokratische Grundwerte wie Solidarität und Gerechtigkeit seien ohne Gleichheit gar nicht vorstellbar. Darauf müsse sich seine Partei zurückbesinnen, fordert der SPD-Vorsitzende.
Dafür verlangt er eine grundlegende Erneuerung der politischen Kultur in der SPD. Vor allem in sozialer und wirtschaftspolitischer Sicht wünscht er sich Veränderungen: Wenn rund zehn Prozent der Reichsten in Deutschland die Hälfte des Vermögens besäßen, gebe es dringenden Handlungsbedarf. Die Gesellschaft der „vererbten Privilegien“ – in der die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden – könne nicht funktionieren, analysiert Gabriel. So müsse beispielsweise endlich Schluss damit sein, dass Kapitalerträge weniger besteuert werden als die Erträge von Arbeit.
Aufklärung statt pädagogischem Zeigefinger
Es gehe ihm bei der Neuausrichtung der SPD aber um „mehr als materielle Fragen“, erklärt Gabriel. Zwischen der Partei und ihrer klassischen Klientel im Arbeitermilieu habe es eine „kulturelle Entfremdung“ gegeben, lautet seine Kritik. Im Umfeld der Sozialdemokratie – von der SPD bis hin zur FES – werde ständig über den „Aufstieg durch Bildung“ gesprochen. Dabei könne beinah der Eindruck entstehen, in der mittlerweile stark akademisierten SPD gebe es lauter „kluge Leute, die meinen, dass ihr Leben das richtigere ist“. Mit dieser politischen Erzählung könne die SPD bei Verkäufern, Handwerkern und Facharbeitern aber einfach nicht punkten, befürchtet Gabriel. Die Partei müsse eins klarmachen: Dass Emanzipation – ein Grundwert der Sozialdemokratie – „Aufklärung bedeutet“. Allerdings dürfe die SPD dabei auf keinen Fall mit dem „pädagogischen Zeigefinger“ wedeln.
Einer der zukünftigen Hauptaufgaben für die SPD sei es, als linke Volkspartei eine Brücke zu schlagen zwischen dem Arbeitermilieu und dem liberalen Bürgertum. Letztere Gruppe müsse dabei aufpassen, nicht in Arroganz gegenüber Menschen mit weniger formaler Bildung zu verfallen. So findet es Gabriel grundfalsch, den Sender RTL als „Unterschichtenfernsehen“ zu bezeichnen. Solche Redensarten trügen nur zur „kulturellen Distanz“ zwischen den Milieus bei. Außerdem stärkten diese Einstellungen den Rechtspopulismus. Denn: Wer selbst Abwertung erfahre, neige zur Abwertung der anderen und nehme die „Einladung zum Ressentiment“ von AfD, Pegida und Co. dankend an.
Die „Idee von Gleichheit“ will Gabriel in der Gesellschaft insgesamt stärken: etwa durch die Abschaffung der Gebühren für Meister- und Technikerkurse – damit nicht nur akademische Bildung in Deutschland gebührenfrei ist. So soll ein Wert betont werden, der in der SPD seit über 100 Jahren groß geschrieben werde: die Augenhöhe unter ihren Mitgliedern. Nach sozialdemokratischen Gepflogenheiten reden sich in der Partei alle Mitglieder traditionell mit „Du“ an – vom Arbeiter bis hin zum Minister. Der freundschaftliche Umgang unter Genossen drücke etwas ganz Bestimmtes aus, findet Gabriel – etwas, das für die gesamte Gesellschaft gelten müsse: „Keiner soll über dem anderen stehen“.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.