Wie sich Erwin Sellering das Vertrauen der Menschen in MV erarbeitet hat
Thomas Koehler/photothek.net
Dass Erwin Sellering im Oktober 2008 Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern wurde, ist einer Urlaubsreise zu verdanken. 1994 verbrachte die Familie die Osterferien an der Ostsee. „Auf dem Weg zurück ins Ruhrgebiet haben wir diskutiert und uns dann vier zu null entschieden, nach Greifswald zu ziehen“, erzählte Sellering dem „vorwärts“ für ein Porträt im Frühjahr 2014.
Vom Verwaltungsrichter zum Ministerpräsidenten
In Greifswald nahm Sellering eine Stelle am Verwaltungsgericht an. 1998 ging er als Abteilungsleiter in die Staatskanzlei in Schwerin. Zwei Jahre später berief ihn Ministerpräsident Harald Ringstorff in sein Kabinett – es wurde dringend ein Justizminister gebraucht. Sechs Jahre später wechselte Erwin Sellering ins Sozialministerium. Als Ringstorff 2008 aus Altersgründen zurücktrat, wurde Sellering schließlich Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern – der erste aus Westdeutschland.
„Es ist etwas Besonderes, Ministerpräsident eines Landes zu sein, in dem man nicht geboren wurde“, findet Sellering. Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern waren zunächst nicht sonderlich begeistert. „Erwin wer?“, fragten viele. Sellering hielt mit viel Verständnis für die Nöte der Menschen dagegen. Mit einer mobilen Bürgersprechstunde tourte Sellering auch bis vor kurzem noch durchs Land. „Ich habe gern den direkten Kontakt. So stelle ich mir die Zusammenarbeit mit den Bürgern vor“, sagt Sellering.
Respekt für die Menschen in Ostdeutschland
Und der „Wessi“ nahm die Ostdeutschen in Schutz. Die regelmäßig wiederkehrende Abwertung der Leistungen in der früheren DDR durch Westdeutsche verurteilte Sellering heftig. „Es gab Millionen von Menschen, die unter schwierigen Bedingungen versucht haben, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Das verdient Respekt“, lautet sein Credo.
Bei den Mecklenburgern und Vorpommern kam das an. Bei seiner ersten Landtagswahl als Spitzenkandidat 2011 konnte Sellering das Ergebnis der SPD auf 35,6 Prozent steigern. Die Kampagne war ganz auf den beliebten Ministerpräsidenten zugeschnitten. „Gut, wie das Land“ stand auf den Großflächenplakaten unter Sellerings Porträt.
Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann
Bei der schwierigen Landtagswahl im September 2016 erhielt die SPD zwar nur noch 30,6 Prozent, wurde jedoch nach einer fulminanten Aufholjagd erneut stärkste Kraft und setzte die große Koalition mit der CDU fort.
Sellerings Bilanz als Ministerpräsident kann sich sehen lassen. Seit Jahren nimmt das Land keine neuen Schulden auf, sondern tilgt bestehende Kredite. Die Arbeitslosenzahl ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. „Und wir haben auch im sozialen Bereich Akzente gesetzt und zum Beispiel das Kita-Angebot noch einmal deutlich verbessert“, so Sellering. Das Feld für Manuela Schwesig war also gut bestellt, als die 2017 die Amtsgeschäfte von Sellering übernahm. Wegen einer Krebserkrankung trat er nach neun Jahren als Ministerpräsident zurück.
Groß war die Freude als Erwin Sellering nach erfolgreicher Behandlung im Dezember desselben Jahres auf die politische Bühne zurückkehrte. Fortan saß er als einfacher Abgeordneter im Landtag. Nun soll aber mit der Politik komplett Schluss sein. Sein 70. Geburtstag am 18. Oktober sei „ein passender Moment, um endgültig Abschied zu nehmen von der aktiven Politik“, erkärte Sellering am Donnerstag. Dass er künftig ein Leben als Rentner führt, glaubt freilich nicht mal er selbst.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.