Parteileben

Wie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die SPD verändern wollen

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen die Mitbestimmung in der SPD stärken. Nach außen will sich das Duo, das sich für den Parteivorsitz bewirbt, vor allem für mehr Gerechtigkeit in Deutschland einsetzen. Die Zukunft der großen Koalition bewerten sie negativ.
von Benedikt Dittrich · 5. November 2019

Eine Aspirin muss es dann doch sein nach diesem Abend. „Aber ich bereue nichts“, sagt Norbert Walter-Borjans am Tag danach. Der Samstagabend vorher war lang, länger als gedacht. Kurz nach 18 Uhr am 26. Oktober wissen Saskia Esken und Norbert ­Walter-Borjans, dass sie es in die zweite Runde der Mitgliederbefragung geschafft haben. Weniger als zwei Prozent trennen sie von den Siegern der ersten Runde, ­Klara Geywitz und Olaf Scholz, 21,04 zu 22,68 Prozent.

Rund 16 Stunden später sitzen sie schon wieder zusammen, unterhalten sich, planen die kommenden Tage und Wochen. „Wir haben uns abends auch noch ein bisschen unterhalten“, erzählt Saskia Esken. Während des Gesprächs klingelt immer mal wieder das Handy von ­Walter-Borjans. „Ich brauche ein neues“, sagt er zwischendurch, „der Akku hält nicht mehr so lang“. Esken ist schon einen Schritt weiter: „Ich habe schon seit sechs Wochen ein neues Handy. Ich komme nur nicht dazu, alles umzustellen.“

Bewerbung im letzten Moment

Sechs Wochen, das ist ungefähr der Zeitraum, in dem die Kandidierenden auf Tour waren. „Unsere SPD – die Tour“ – so wurden die 23 Konferenzen genannt, auf der die Bewerber quer durch Deutschland zur Parteibasis geschickt wurden, von Saarbrücken bis München, von Dresden bis Oldenburg. „Wir hätten eigentlich einen Tourbus mieten können“, witzelt Esken rückblickend, bevor Walter-Borjans sie ausbremst: „Ich fahre gerne Bahn.“ ­Außerdem habe ihm die Mischung gefallen, mal mit den Kandidierenden, mal nur mit Esken und mal alleine anzureisen. „So hatte ich auch mal Zeit für mich.“ Da nickt Esken und ergänzt den Rheinländer: „Stimmt, sonst gibt’s Lagerkoller.“

Das Duo – die linke Bundestagsabgeordnete Esken aus dem Schwabenland mit der Affinität zum Digitalen und „Nowabo“, wie der ehemalige Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen auch genannt wird – meldete sich erst drei Tage vor Ablauf der Bewerbungsfrist. Am 28. August gab Esken bei Twitter die Kandidatur bekannt. „Ich habe heute nicht nur Geburtstag, ich habe euch auch was zu sagen. Sucht doch bitte schon mal die Kuchen-Rezepte raus“, begann ihr Text, in dem sie verkündete, dass sie mit Nowabo antreten wird. Zwei Stunden später spricht sich Juso-Chef Kevin Kühnert offiziell für die beiden aus, zwei Tage später erhalten sie die Unterstützung des SPD-Landesverbands aus Nordrhein-Westfalen. Damit ist der formale Weg frei für die Bewerbung. Der 67-Jährige und die 58-Jährige gehen mit Unterstützung der Jusos und des größten Landesverbands ab September auf Tour.

Breite Unterstützung von NRW und den Jusos

„Das war natürlich mit einer gewissen Fallhöhe verbunden“, sagt ­Walter-Borjans zwei Monate später über den Rückenwind. „Deswegen war das Ergebnis nicht unerwartet, aber eine gute Vergewisserung.“ Dass die Digitalexpertin die treibende Kraft für die Kandidatur war, daraus macht Nowabo kein Geheimnis: „Das war vorher nicht Teil meiner Lebensplanung“, sagt er, „aber mich hatten schon vorher viele Genossen angesprochen“. „Zu dem Gefühl der Verantwortung kam so auch der Kampfgeist.“ Er verkörpere ­etwas, was in Zeiten wie diesen wichtig wäre, hätten einige zu ihm gesagt.

In diese Zeit fiel dann offenbar die SMS, die Esken an ihn schickte. Ihre Frage nach einer gemeinsamen Kandidatur wurde „nicht wirklich mit Nein“ beantwortet, berichtet Esken, deswegen blieben sie im Gespräch. Es folgte ein Abendessen in Köln. „Da stellten wir fest: Wir ergänzen uns und harmonieren“, beschreibt Esken das Treffen in der Rhein-Metropole.

Auf den Konferenzen sprechen sie sich immer wieder für eine bessere Verteilungsgerechtigkeit aus, für eine Vermögenssteuer, für umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur. Während Esken auf Twitter die Abkehr von „neoliberalen Irrtümern“ wie den Hartz-Reformen fordert, klingt das bei Norbert Walter-Borjans oder Hamburg so: „Wir sind mit dem SPD-Bus falsch abgebogen und in der neoliberalen Pampa gelandet.“

„Das ist kein Paarlaufen“

Auch wenn sie durchaus gemeinsame Ansichten haben: „Das ist kein Paarlaufen“, betont Nowabo kurz vor der nächsten Abstimmungsrunde. „Wir haben durchaus unterschiedliche Themenschwerpunkte.“ Dass sie als künftige Parteivorsitzende auch als Einzelperson Stellung beziehen – nicht ausgeschlossen. Um inhaltlich zu Antworten zu kommen, wollen die beiden aber viel stärker die Basis einbinden. „Da wo die Mitbestimmung besser funktioniert, ist die SPD nach wie vor stark“, erklärt Nowabo mit Blick auf die starken, sozialdemokratisch geführten Kommunen. „Das ist auf der Bundesebene mit der Basta-Politik der vergangenen Jahre verloren gegangen.“

Ein Punkt, an dem Esken den Koffer mit ihren Vorstellungen von besserer Mitbestimmung öffnen kann: Online-Themenforen seien über die Arbeitsgemeinschaften der SPD hinaus eine gute Möglichkeit, um über Themen zu entscheiden, ein Debattencamp wie 2018 ebenso: „Andrea Nahles hat aus diesem Camp damals viel mitgenommen. Ich habe das auch als sehr positiv empfunden.“ Außerdem müsse es Teilnahme­möglichkeiten für diejenigen geben, die nicht bei regelmäßigen Sitzungen dabei sein können. „Für Menschen, die im Schichtdienst arbeiten oder eine Familie haben, funktioniert sowas einfach nicht“, sagt die dreifache Mutter. Die gegenwärtige Antragskultur in der Partei geißelt sie als veraltet und ineffektiv: „Wenn 20 Anträge in 20 Gliederungen geschrieben werden, am Ende aber nur über einen entschieden wird, dann bin ich doch als ­Mitglied frustriert.“

Neues Vertrauen schaffen

Ähnlich negativ bewerten die beiden die Zusammenarbeit in der großen Koalition: „Die Groko ist keine Basis dafür, mit klarer Haltung und klarer Botschaft neues Vertrauen zu schaffen“, hatte Saskia Esken dazu schon Ende August auf Twitter geschrieben. Walter-Borjans ist da ein bisschen zurückhaltender: „Gerechte Lastenverteilung geht schon jetzt nicht mit CDU/CSU. Und die Zeichen stehen auf zunehmende Differenzen auch von Seiten des Koalitionspartners.“ Eine konstruktive Diskussion dazu könne er auf dem Parteitag aber aushalten.

Außerdem, da sind sich wiederum beide einig, verkürze die Frage zur großen Koalition die eigentlich notwendige, inhaltliche Debatte. „Die inhaltlichen Fragen hängen nicht nur mit der großen Koalition zusammen“, sagt Esken. Nowabo spricht von klaren Positionen, die die SPD wieder einnehmen müsse, statt von vornherein mit einem Kompromiss in Verhandlungen zu gehen. „Und dann kommen wir wohl darauf, dass entscheidende Dinge mit CDU und CSU eben nicht zu machen sind.“

Auf viele Fragen haben Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans schon geantwortet. Die Frage, wer von den beiden, sollten sie Parteivorsitzende werden, als Kanzlerkandidat in Frage käme, gehört nicht dazu. „Kandidaten gibt es dann ja mindestens zwei“, antwortet ­Nowabo auf die Frage und lacht dann laut. „Es geht jetzt nicht darum, wie die SPD ­Steigbügelhalter für Kanzlerkandidaten wird, sondern wie die SPD wieder zur standhaft sozialdemokratischen Kraft in der deutschen Politik wird“, ergänzt er dann, begleitet von einem deutlichen Kopfnicken von Saskia Esken.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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