Wie Patrick Dahlemann gegen Rechtsextreme kämpft
Dirk Bleicker
Es ist ein lauer Spätsommerabend im September, der die Kulisse bildet für das Dilemma Patrick Dahlemanns. Im Scheinwerferlicht des „ZDF heute journal“ steht der 28-Jährige auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt Torgelow (Mecklenburg-Vorpommern). Kamera und Mikrofon sind auf ihn gerichtet, in wenigen Minuten wird Claus Kleber vor Millionenpublikum Dahlemann danach fragen, wie er das gemacht hat: Das Direktmandat für die SPD zu gewinnen, in der einstigen CDU-Hochburg Vorpommern. Jenem Landesteil entlang der Grenze zu Polen, der bei der Landtagswahl am 4. September bis auf zwei Wahlkreise komplett an die AfD ging.
Der Frust der pöbelnden Minderheit
Die Schattenseite des Erfolgs, sie sammelt sich derweil am Rande der Szene. Dunkle Gestalten, angetrunken und aggressiv, geladen mit Hass, den Dahlemanns Erfolg auf sich zieht. Kaum stellt Kleber die erste Frage, pöbeln sie los. „Dahlemann du Drecksau, verpiss dich“ oder „Dahlemann hau ab“ schreien sie. Sekunden später rast ein Auto mit quietschenden Reifen wenige Meter hinter Dahlemann durch das Bild.
Akte der Bedrohung, die Normalität sind für Patrick Dahlemann. Spätestens seit er im Sommer 2013 am Rande einer Kundgebung das Mikrofon der NPD ergriff und durch seine couragierte Rede deutschlandweit bekannt wurde, wandelt er zwischen den Welten: Hier der schillernde Vorzeige-Politiker, der sich seine Erfolge im Steinbruch der Lokalpolitik hart erarbeitet. Dort der geballte Frust einer pöbelnden Minderheit, die Dahlemann als Verkörperung all dessen sieht, was sie hasst. Nicht immer bleibt es bei verbalen Ausfällen: Dahlemanns Auto und Bürgerbüro wurden wiederholt attackiert. Eine neue Wohnung fand er in seiner Geburtsstadt nur schwer, weil Vermieter Angst um ihre Häuser hatten. Trotzdem sagt Dahlemann: „Landtagsabgeordneter zu sein ist der beste Job der Welt! Ich bin sehr stolz auf diese Region und darauf, sie vertreten zu dürfen.“
Mehr Nähe, mehr Präsenz, mehr Politik
Ein Einzelfall ist er nicht: Erst kürzlich sagte die SPD-Bocholt (Nordrhein-Westfalen) ihren Parteitag ab, nachdem Unbekannte gedroht hatten, dem Vorsitzenden Thomas Purwin seinen „verfickten Judenschädel“ abzuhauen. Prominente Genossen wie SPD-Vize Ralf Stegner können sich vor Hass-Mails kaum retten. Ob Tröglitz oder Oersdorf, viele weitere Beispiele ließen sich aufzählen.
Dahlemanns Antwort auf die brodelnde Mischung aus verbalem Hass und realer Gewalt: Mehr Nähe, mehr Präsenz, mehr Politik. Im Interview sagt er Sätze wie: „Nur wenn ich da wohne, wo ich Politik mache, kann ich die Region aufrichtig vertreten.“ Oder: „Die Leute müssen denjenigen, der auf ihrem Wahlzettel steht, gut kennen.“ Er selbst macht es vor: Kaum ein Schützenfest oder eine Vereinsversammlung, bei der er sich nicht blicken lässt. „Die Wochenenden gehören den Wählern“, so Dahlemann. „Ich kann nicht erwarten, dass die Menschen zu mir kommen. Ich muss zu den Menschen gehen“, fordert er und erklärt, die Politik wieder näher an die Menschen zu bringen sei Pflicht aller Abgeordneten, egal ob des Bundes- oder des Kreistages.
Politik braucht Mut
Dass das schwierig ist, gerade in Flächenländern wie Mecklenburg-Vorpommern, weiß Dahlemann nur zu gut. „Präsenz zu zeigen, ist ein absoluter Kraftakt, klar. Aber wir dürfen den Anspruch nicht aufgeben.“ Nah bei den Menschen sein, ein offenes Ohr auch für noch so spezielle Probleme haben, er nennt es „Graswurzelarbeit für die Demokratie“. So holte er in seinen bislang zweieinhalb Jahren als Landtagsabgeordneter etwa 1600 Menschen aus dem Wahlkreis nach Schwerin in den Landtag. Selbst wiederum verzichtet er auf eine Dienstwohnung vor Ort, pendelt lieber nach Torgelow.
Inhaltlich plädiert der Träger des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises 2014 dafür, die Wähler nicht zu schonen: „Entweder wir haben den Mut, die komplizierten Dinge so zu erklären, wie sie nun mal sind oder wir ducken uns weg.“ Den Leuten zu sagen, woran sie sind und wie Probleme gelöst werden können, auch das sei Aufgabe und Pflicht gewählter Politiker.
Dass genau darin das Einfallstor für Parteien wie die AfD und NPD liegt, braucht Dahlemann niemand zu erklären. „Die bedienen Stimmungen, gegen die du ankämpfst, auch wenn die Fakten das Gegenteil zeigen.“ Sein direkter Kontrahent habe sich so gut wie nicht in der Region gezeigt, landete aber nur 300 Stimmen hinter dem Dauerbrenner Dahlemann. Gerade weil die AfD das Klischee der „arroganten, korrupten und machtbesessenen Politikerkaste“ bediene, müssten Demokraten zeigen, dass die Wirklichkeit anders aussieht. „Das muss vor Ort gelebt werden“, fordert Dahlemann.