Parteileben

Wie Juso-Vorsitzende ihr Ost-Sein erleben

Die Juso-Vorsitzenden aus Sachsen, Brandenburg und Thüringen wurden nach der Wiedervereinigung geboren. Trotzdem erleben sie noch immer eine Spaltung zwischen Ost und West. Wie beeinflusst das ihr politisches Handeln?
von Jonas Jordan · 15. August 2019
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„Ich bin mehr Ossi als alle Ostdeutschen“, sagt Oleg Shevchenko. Der 25-Jährige ist Landesvorsitzender der Jusos in Thüringen. Er wuchs in den 90er-Jahren auf der Halbinsel Krim auf und erlebte dort den postsowjetischen Umbruch als Kind mit. Shevchenko sieht viele Parallelen zur Entwicklung in Ostdeutschland. Seine Eltern waren in der Ukraine arbeitslos, später auch in Thüringen Hartz-IV-Empfänger. „Dieser Transformationsprozess begleitet mich, seit ich politisch denken kann“, sagt er.

Grausige Unterschiede und marode Strukturen 

Mit 14 Jahren trat Shevchenko in die SPD ein. Ende Oktober kandidiert er bei der Landtagswahl in Thüringen, im Wahlkreis Mühlhausen und auf Platz 13 der SPD-Liste. Bereits am 1. September wird in Sachsen und Brandenburg gewählt. Wie Shevchenko sind auch die dortigen Juso-Landesvorsitzenden nach der Wiedervereinigung geboren. Gibt es für sie also so etwas wie eine ostdeutsche Identität? Wenn ja, wie beeinflusst sie ihr politisches Handeln und Bewusstsein?

Dass es keine Unterschiede zwischen Ost und West gebe, würden vor allem viele junge Menschen aus Westdeutschland sagen, die noch nie im Osten gelebt hätten, sagt Shevchenko. Für ihn sei vor allem die „krasse Massenarbeitslosigkeit“ in vielen Regionen Ostdeutschlands identitätsstiftend gewesen: „Jedes vierte Kind in Mühlhausen lebt in Hartz IV. Das prägt einen, weil man weiß, was es bedeutet, auf jeden Cent zu achten.“ Es gebe grausige Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, was Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen angehe, ein ausgedünntes soziales Netz und marode Strukturen. „Das alles kann nicht an jungen Menschen vorbeigehen“, sagt Shevchenko.

Weg mit der Mauer in den Köpfen!

Rica Eller ist ebenfalls 25 Jahre alt und Juso-Landesvorsitzende in Brandenburg. Sie sagt: „Mich würde es freuen, wenn wir irgendwann, wenn ich mal Kinder habe, nicht mehr darüber sprechen müssen, ob jemand ost- oder westdeutsch ist, sondern dass diese Mauer in den Köpfen dann endlich weg und Gerechtigkeit zwischen allen Landesteilen hergestellt ist.“ Sie erlebt Vorurteile im Alltag beispielsweise, wenn sie auf gleichaltrige Westdeutsche trifft. 

Politisch geprägt hat Eller auch der Ausspruch des früheren CSU-Vorsitzenden und bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Dieser sagte 2005 im Vorfeld der Bundestagswahl, er akzeptiere es nicht, „dass letzten Endes erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird“. Für Eller ist klar: Äußerungen wie diese verstärkten eine Spaltung und führten dazu, dass Leute sagen: „Wir sind Ostdeutsche und wir sind stolz darauf.“

Dresden anders als Erzgebirge

Für Stefan Engel ist die Frage nach einer ostdeutschen Identität schwieriger zu beantworten. „Eine politische Identität entwickelt sich in Dresden anders als im hinteren Erzgebirge“, sagt der sächsische Juso-Landesvorsitzende. Engel wurde in Dresden geboren und ist dort seit Mai Stadtverordneter. Auf der persönlichen Ebene spielt für den 26-Jährigen seine ostdeutsche Identität keine Rolle. Unterschiede seien für ihn vor allem im politischen Umgang mit Themen wie Solidarität oder Arbeitslosigkeit spürbar, sagt Engel.

Grundsätzlich funktioniere Politik in Ostdeutschland anders. Insbesondere in Sachsen, wo die SPD so viele Mitglieder hat wie in manchem westdeutschen Unterbezirk. Deswegen müsse die SPD dort mit einer „ganz anderen Struktur Politik machen“. Engel sagt: „Das prägt das politische Bewusstsein enorm, weil wir schon immer aus einer gewissen Underdog-Position heraus gewirkt haben.“

Mehr Verständnis für den Osten 

In Brandenburg war die SPD seit 1990 deutlich erfolgreicher. Dort stellt sie mit Dietmar Woidke den Ministerpräsidenten und führt die Landesregierung an. Dennoch wünscht sich auch Eller auf politischer Ebene mehr Verständnis für den Osten und „die speziellen Probleme, die es gibt“. Das bezieht sie zum Beispiel darauf, dass die Renten in Ost- und Westdeutschland noch immer nicht angeglichen seien. „Das ist nicht okay, und das diskutieren wir ständig. An der Stelle kämpfen wir für Gerechtigkeit und dafür, dass Ost- und Westdeutsche gleich behandelt werden“, sagt Eller.

Oleg Shevchenko sagt, die SPD müsse stärker dafür sorgen, als gesamtdeutsche Partei wahrgenommen zu werden. „Wir haben in der SPD das Problem, dass die westdeutschen Verbände immer noch nicht begriffen haben, dass wir hier im Osten wirklich am Ende sind“, sagt er.

Die Herausforderung in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sieht er für die SPD gleichermaßen im Kampf gegen Rechts. In allen drei Bundesländern könnte die AfD als stärkste Kraft aus den Landtagswahlen hervorgehen. „Dann wird's richtig eng, wenn die Nazis hier die Macht übernehmen sollten“, sagt Shevchenko. Deswegen ist für ihn – wie auch in Sachsen und Brandenburg – die entscheidende Frage: „Schaffen wir es, gegen den Bundestrend diejenigen Menschen zu erreichen, die im Herzen Sozis sind?“  

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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