Wie die SPD zur digitalen Volkspartei werden will
Etwas gewöhnungsbedürftig sei es schon gewesen, vor einer leeren Halle zu sprechen, gibt Daniel Stich zu. „Da fehlt schon die gewohnt lautstarke Unterstützung der Delegierten“, sagt der Generalsekretär der SPD in Rheinland-Pfalz. Ministerpräsidentin Malu Dreyer verglich die Atmosphäre mit einer schmackhaften Suppe, „aber ohne Salz“. Trotzdem waren sie und Stich äußerst zufrieden mit dem ersten digitalen Parteitag, den die SPD im Südwesten Ende August abgehalten hat.
Infos zum Online-Voting statt Anfahrsbeschreibung
„Im Zeitalter von Smartphones und Social Media müssen die in weiten Teilen veralteten Parteien die Richtung der Digitalisierung mitgehen“, ist Generalsekretär Stich überzeugt. Ganz praktisch bedeutete das für die 400 Delegierten in Rheinland-Pfalz, dass sie statt einer Anfahrtsbeschreibung Informationen zur notwendigen technischen Ausstattung und zum Online-Voting-System erhielten. Wo Laptop oder Webcam fehlten, habe es Hilfe über die Geschäftsstellen gegeben, versichert Daniel Stich. „Am Sonntag vorher haben wir eine Art Generalprobe gehabt, bei der wir die Technik und alle Abläufe geprüft haben“, erklärt er. Dabei seien alle noch offenen Fragen geklärt worden. „So hatten beim Parteitag auch alle den Mut, sich zu Wort zu melden und mitzudiskutieren.“
In der Halle in Mainz saßen nur die zwölf Mitglieder des Parteitagspräsidiums, das Online-Team der SPD Rheinland-Pfalz, einige Techniker und Journalisten. Nach Reden von Parteichef Roger Lewentz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die aus der Halle übers Internet übertragen wurden, berieten die Delegierten drei Stunden lang von zu Hause aus über die Anträge und beschlossen sie. „Dafür war eine spezielle Software im Einsatz, mit der wir über einen persönlichen Zugangscode sichergestellt haben, dass alle Delegierten selbst abstimmen“, erklärt Stich. So sei alles satzungsgemäß abgelaufen.
Einschränkungen durch Wahlrecht und Parteiengesetz
Bei Wahlen seien die Hürden da erheblich höher, räumt Stich allerdings auch ein. „Da sind wir an das Landeswahlrecht gebunden, das digitale Verfahren bisher nicht vorsieht.“ Und für parteiinterne Wahlen gebe es Einschränkungen durch das Parteiengesetz. „Ich hoffe, dass bald rechtliche Möglichkeiten geschaffen werden, dass künftig analoge wie digitale Parteitage gleichberechtigt möglich sind, mit all den Befugnissen, die Delegierte auch auf analogen Parteitagen haben“, sagt Daniel Stich.
Dass es irgendwann dazu kommt, daran arbeitet Lars Klingbeil. Der Generalsekretär der Bundes-SPD ist dazu im Kontakt mit seinen Kollegen aus den anderen Parteien. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir digitale Parteitage ermöglichen wollen“, sagt er. Bei Anträgen und Nominierungen gebe es keine Hürden. „Aber für Personalwahlen brauchen wir Rechtssicherheit. Da ist das Innenministerium als Verfassungsministerium gefordert, Klarheit herzustellen.“
Immerhin hat sich die große Koalition bereits darauf verständigt, wegen der steigenden Corona-Zahlen Bundestagskandidaten nicht zwingend von einem Parteitag wählen zu lassen, sondern auch Urnen- oder Briefwahlen zuzulassen. Die Vorstellung der Kandidierenden könnte dann vorab online stattfinden.
Die SPD in Rheinland-Pfalz als Vorreiterin
Corona wirkt in vielen Bereichen als Beschleuniger der Digitalisierung – bei der Arbeit im Homeoffice ebenso wie in der Politik. Dass die SPD in Rheinland-Pfalz als erstem Landesverband einen Parteitag komplett digital stattfinden lassen konnte, liegt aber vor allem an der guten Vorarbeit. „Wir haben schon 2016 die Vision einer vernetzten Partei entworfen“, berichtet Daniel Stich. Seitdem seien „die Kommunikationswege innerhalb der Partei“ deutlich digitaler geworden, „was gerade in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz enorme Vorteile mit sich bringt“. Entscheidend seien aber nicht allein die Technik und schnelle Internetverbindungen, sondern vor allem die Offenheit und Neugier der Mitglieder für Neues. „Ich rate der SPD sehr dazu, die Möglichkeit zu schaffen, auch digitale Bundesparteitage stattfinden zu lassen.“
Bei Lars Klingbeil rennt er damit offene Türen ein. „Auch unabhängig von Corona ist mein Anspruch als Generalsekretär, dass die Partei noch moderner und digitaler wird, damit wir die technischen Möglichkeiten zum Vorteil unserer Mitglieder nutzen können“, sagt er. So fanden den Sommer über digitale „Zukunftsdialoge“ statt, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von unterschiedlichen Orten aus miteinander diskutierten. Anfang Oktober ist die digitale Programmwerkstatt an den Start gegangen, in der die SPD-Mitglieder ihre Vorschläge für das Bundestagswahlprogramm vorstellen und diskutieren können. Und im Dezember soll ein rein digitales Debattencamp stattfinden. „Wir sind auf einem guten Weg, unsere Arbeit in der Partei um viele digitale Werkzeuge zu ergänzen“, freut sich Klingbeil.
Mehr Möglichkeiten für die Mitglieder
Für die Mitglieder kann das neue Freiheiten bringen. Delegierte müssen keine weiten Anreisen auf sich nehmen, sondern können ihr Ehrenamt bequem vom heimischen Sofa aus ausüben. Wer kleine Kinder hat, kann sie nebenbei betreuen. Aus Sicht von Daniel Stich wird die innerparteiliche Mitbestimmung so „auf eine nächste Stufe gehoben“.
Nach der Premiere in Rheinland-Pfalz haben mittlerweile auch die SPD in Niedersachsen sowie in Bayern gute Erfahrungen mit einem digitalen Parteitag gesammelt. In Niedersachsen konnten 200 und in Bayern 120 Delegierte online über Anträge diskutieren und diese am Ende auch beschließen. In der Landesgeschäftsstelle in München waren am 12. September lediglich ein Rednerpult und einige Kameras aufgebaut. „Dieser Tag hat gezeigt: Unsere Partei kann digitaler Parteitag und zwar sowohl technisch, optisch als auch auf der inhaltlichen Ebene“, freute sich die Landesvorsitzende Natascha Kohnen hinterher.
Dass Parteitage irgendwann nur noch digital stattfinden werden, glaubt dennoch niemand. „Wer schon einmal einen Parteitag erlebt hat, weiß, dass sich die Stimmung nicht einfach so auf ein digitales Format übertragen lässt“, sagt Lars Klingbeil. Auf Parteitagen würden schließlich nicht nur Beschlüsse gefasst und Personen gewählt, es gehe auch darum „einander kennenzulernen und sich zu vernetzen“. Und das gehe eben am besten im echten Leben. „Die SPD lebt auch von ihrem großen Gemeinschaftsgefühl und dazu gehört, dass sich die Mitglieder regelmäßig sehen“, sagt auch der Rheinland-Pfälzer Stich. Am besten wäre aus seiner Sicht, digitale und herkömmliche Parteitage im Wechsel stattfinden zu lassen. „Es ist an uns, eine kluge Mischung hinzubekommen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.