Wie die SPD auf Usedom für die Demokratie kämpft
Michael Gottschalk/photothek.net
Willy Brandt kniet im Wohnzimmer von Günther Jikeli. Auch wenn die Schwarz-Weiß-Aufnahme der berühmten Geste in Warschau gerade mal so groß ist wie eine Postkarte, fällt sie jedem Besucher doch sofort ins Auge. „Ralph Weber hat Brandts Kniefall als Verrat an der historischen Heimat des deutschen Volkes bezeichnet“, empört sich Günther Jikeli. „Das ist eine unglaubliche Entgleisung.“
„Wir lassen uns davon nicht entmutigen“
Für die Usedomer Sozialdemokraten, deren Vorsitzender Jikeli ist, ist Ralph Weber eine Art böser Geist. Mit 35,3 Prozent der Stimmen hat der Kandidat der AfD den Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III, zu dem Usedom gehört, gewonnen. „Dabei hat er überhaupt keinen Wahlkampf gemacht“, sagt Falko Beitz. Der 29-Jährige ist stellvertretender Vorsitzender der Usedomer SPD. Im Wahlkampf war Weber sein Gegenkandidat. Mit 17,8 Prozent holte Beitz gerade mal die Hälfte der Stimmen des Rechtspopulisten.
„Wir lassen uns davon nicht entmutigen und packen weiter an“, zeigt sich OV-Schriftführerin Cornelia Bunczek an einem nasskalten Oktoberabend kämpferisch. Der Ortsverein trifft sich zum ersten Mal nach der Landtagswahl, um das Ergebnis zu analysieren. Zwölf der 53 Mitglieder sind ins „Landgasthaus Klein“ im Inselörtchen Mellenthin. gekommen.
Reisewarnung für Usedom
„Ich habe unsere SPD noch nie in einem so guten Wahlkampf gesehen“, lobt Falko Beitz. „Da, wo die Menschen ‚Falko‘ zu mir sagen, bin ich auch gewählt worden.“ In seinem Heimatort Stolpe hat er die meisten Stimmen aller Direktbewerber erhalten. „Wir müssen die Themen, die die Menschen direkt betreffen, aufnehmen und unser Profil als Kümmererpartei weiter schärfen“, lautet Beitz‘ Fazit.
„Wir erreichen die Leute nicht durch Werbung, sondern durch Überzeugung“, ist auch Eduard Beischall sicher. Er wohnt in Karlshagen, im Norden der Insel. Im Nachbarort Peenemünde erzielte die AfD mit 46,8 Prozent ihr bestes Ergebnis. 5,6 Prozent für die NPD kamen hinzu – Werte, die einige Zeitungen veranlassten, eine „Reisewarnung“ für Usedom auszusprechen.
Die SPD als Kümmerer-Partei
„In Peenemünde wurden die alten Plattenbauten der NVA nach der Wende an einen Investor verkauft“, erklärt Günther Jikeli. Der habe besonders gern sozial schwache Mieter genommen, da die Miete vom Staat bezahlt wurde. Renoviert habe er die Gebäude nicht. „Von uns würde es in den Blöcken niemand länger als vier Wochen aushalten.“ Da sei es nachvollziehbar, dass die Mieter frustriert seien. Jikeli und die Genossen wollen sich das nicht länger bieten lassen. Schon vor einigen Monaten haben sie gegen die Zustände in Peenemünde demonstriert, mit Erfolg: Inzwischen wurde mit der Renovierung der maroden Bauten begonnen.
Am anderen Ende der Insel im Süden stehen die Reste der 1945 gesprengten Karniner Eisenbahn-Hubbrücke. „Für viele ist sie ein Symbol für das abgehängte Vorpommern“, erzählt Günther Jikeli. Mit der Reaktivierung der Trasse würde sich die Fahrtzeit von Berlin nach Usedom von vier auf zwei Stunden reduzieren, rechnet er vor. Aber die Usedomer Genossinnen und Genossen fühlen sich im Stich gelassen. „Die CDU bevorzugt den Straßenbau.“ Der Slogan laute deshalb: Eisenbahn statt Autowahn. Auch von den SPD-Regierungsmitgliedern in Berlin und Schwerin erwarten die Usedomer mehr Unterstützung.
Klare Ziele bis zum Neujahrsempfang
Viele Themen kommen an dem Abend im „Landgasthaus Klein“ zur Sprache, etwa, dass nur eines der vielen Usedomer Hotels einen Betriebsrat hat, sich Arbeitnehmer die Mieten auf der Insel kaum noch leisten können und die SPD gerade mal zehn der 200 kommunalen Mandate auf der Insel besetzt. „Wir sind im vorpolitischen Bereich zu wenig aktiv“, sagt Günther Jikeli. Es gelte, Aktive aus der Gesellschaft für die SPD zu gewinnen. Flüchtlinge sind bei dem Treffen kein Thema.
Am Ende des Abends stehen klare Ziele: Der OV Usedom wird einen Empfang für Arbeitnehmer organisieren, zu dem er auch Ministerpräsident Erwin Sellering einlädt. Der Kontakt zur polnischen Schwesterpartei SLD soll ausgebaut werden, um polnische Arbeitnehmer auf Usedom besser ansprechen zu können. Beim Neujahrsempfang im Januar will die SPD mehr als 60 Mitglieder haben.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.