Parteileben

Wie die Nürnberger SPD die gesamte Partei geprägt hat

2016 war ein besonderes Jahr für die Nürnberger SPD: Sie hat ihr 150-jähriges Bestehen gefeiert. Die Historikerin Kerstin Pommereit hat Archive durchstöbert und mit Zeitzeugen gesprochen. Ihr Fazit: Die Nürnberger SPD ist in vielem Vorbild für die gesamte Partei.
von Kai Doering · 16. Dezember 2016
Überwachungsakte über Karl Grillenberger
Überwachungsakte über Karl Grillenberger

Das offizielle Gründungsdatum der Nürnberger SPD ist der 24. Mai 1866. Was ist da passiert?

Zunächst muss ich sagen, dass wir bei unserer Recherchearbeit herausgefunden haben, dass das offizielle Gründungsdatum der Nürnberger SPD nicht, wie bisher angenommen, der 24. Mai 1866 war, sondern erst der 26. Bereits vorher gab es Arbeitervereine, bei denen auch bürgerliche Kräfte mitgemischt haben. Irgendwann hatten die Arbeiter das Gefühl, sie werden für die Interessen der Bürgerlichen instrumentalisiert. Deshalb haben sich im Mai 1866 etwa 100 Arbeiter und kleine Handwerker zusammengetan und beschlossen, einen Arbeiterbildungsverein zu gründen. Den Antrag dafür haben sie am 24. Mai gestellt. Am 25. wurde er genehmigt und am 26. fand dann die tatsächliche Gründung statt.

Wie sah die Arbeit des Vereins in den ersten Jahren aus?

Der Auftrag war ganz klar, Bildungsangebote für Arbeiter anzubieten. Dazu wurden Seminare angeboten, ähnlich einem kleinen Programm an einer Volkshochschule heutzutage. Schnell ging es dann allerdings darum, die Lebensbedingungen der Nürnberger Bevölkerung zu verbessern. Die Arbeit des Vereins wurde damit zunehmend politischer. Mit dem späteren Vorsitzenden Karl Grillenberger hatten die Arbeiter schließlich auch eine Persönlichkeit an ihrer Spitze, die es verstand Menschen zu überzeugen und ihnen zu zeigen, dass man nur etwas verändern kann, wenn man gemeinsam für seine Interessen eintritt. Zu seiner Zeit vertrat der Arbeiterverein schon der Nürnberger Stadtgesellschaft, die zum großen Teil aus Arbeitern und Kleinhandwerkern bestand.

Wie wichtig war die SPD für die Entwicklung der Stadt in den vergangenen 150 Jahren?

Dazu möchte ich zwei Beispiele vom Beginn des 20. Jahrhunderts nennen: 1908 sind erstmals Mitglieder der SPD in den Nürnberger Stadtrat eingezogen, der damals noch „Kollegium der Gemeindebevollmächtigten“ hieß. Seitdem konnten die Sozialdemokraten kommunale Themen aktiv mitgestalten. Nürnberg war damals eine der Städte mit der höchsten Säuglingssterblichkeit. Auch Tuberkulose war weit verbreitet. Die SPD wurde in dieser Situation zu einer Triebkraft für soziale Fürsorge. Das setzt sich bis heute fort. Ein anderes wichtiges Thema war schon vorher, also am Ende des 19. Jahrhunderts der Kampf der SPD für ein allgemeines Wahlrecht. Damals durften nur Menschen wählen die Geld hatten. Es herrschte das sogenannte Elitenwahlrecht. Das hat die SPD peu a peu geändert. Den bürgerlichen Eliten hat das natürlich gar nicht gefallen. Deswegen wurden die Genossen damals auch in Nürnberg bespitzelt, schikaniert und sogar eingesperrt. Bis heute liegen noch stapelweise Überwachungsakten über Nürnberger Genossen aus der Zeit des Kaiserreichs im Stadtarchiv. Doch trotz der Schikanen und dann sogar trotz des Verbotes der Sozialdemokratie während der Sozialistengesetze, hatten die Nürnberger Genossen Erfolg mit ihrer Politik. Karl Grillenberger konnte 1881 – also noch während der Sozialistengesetze – in den Berliner Reichstag einziehen. Zwei Jahre später schafften es fünf Sozialdemokraten in den Bayerischen Landtag, vier davon kamen aus Nürnberg.

Die Nürnberger SPD hat ihr rundes Jubiläum zum Anlass genommen, ihre Geschichte umfangreich aufzuarbeiten. Als Historikerin haben Sie in Archiven recherchiert und mit Zeitzeugen gesprochen. Was hat Sie dabei besonders beeindruckt oder überrascht?

Mein Auftrag war, 150 Jahre Nürnberger SPD-Geschichte zu erforschen. Das ist eine sehr lange Zeit, in der eine Menge passiert ist. Deshalb konnten wir auch nur schlaglichtartig bestimmte Ereignisse beleuchten. Während meiner Recherchen, vor allem aber bei den 13 Zeitzeugen-Gesprächen, die ich geführt habe, ist mir immer wieder aufgefallen, dass es die Nürnberger SPD besonders auszeichnet, ungemein bescheiden zu sein. Oberbürgermeister Uli Maly hat mal gesagt: „Das Operettenhafte fehlt uns.“ Ich finde, dieser Satz beschreibt die SPD in Nürnberg sehr gut und macht sie besonders sympathisch. Hinzu kommt, dass es die Nürnberger SPD immer wieder geschafft hat auch in schwierigen Situationen respektvoll miteinander zusammenzuarbeiten. Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen: Auch in Nürberg gab es in den 20er Jahren eine Spaltung der SPD in eine MSPD und eine USPD. Trotz aller inhaltlichen Differenzen haben es die beiden Parteien aber geschafft, weiterhin gemeinsam zu arbeiten. Auch mit anderen Zerreißproben wie den Notstandsgesetze, dem NATO-Doppelbeschluss oder der Agenda 2010 ist die Partei sehr konstruktiv umgegangen und hat sie so gemeistert. Ich denke, das ist einer ihrer Erfolgsfaktoren.

Heute gilt Nürnberg mit Oberbürgermeister Ulrich Maly als „rote Insel“ im CSU-dominierten Bayern. War das schon immer so?

Immer nicht, aber schon sehr lange. Spätestens seit 1908 als die Nürnberger Sozialdemokraten in das Stadtparlament einzogen, haben Sie die Geschicke der Stadt aktiv mitgestaltet. Während des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik hat der Nürnberger Sozialdemokrat Martin Treu eine wichtige Rolle bei der Lebensmittelversorgung und sozialen Fürsorge in Nürnberg gespielt. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat die SPD in Nürnberg stets den Oberbürgermeister gestellt – mit einer schmerzhaften Unterbrechung von 1996 bis 2002.

Zwar wurde Peter Schönlein 1996 überraschen abgewählt, aber auch er hat mit seiner Politik Nürnberg entscheiden mitgeprägt. Er hat Nürnbergs historische Wunde erkannt und der schweren Last der „Stadt der Reichparteitage“ die Antwort der Menschenrechte und des Friedens entgegengesetzt. Schönlein hat den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ins Leben gerufen, der bis heute verliehen wird. Ohne Schönleins Politik wäre Nürnberg heute sicher nicht die „Stadt der Menschenrechte“. Eine Stadt die immerwährend ihre Geschichte aufarbeitet und sich für Versöhnung einsetzt. Uli Maly ist mittlerweile um dritten Mal wiedergewählt worden und konnte sein Ergebnis jedes Mal verbessern. Seit 2008 ist die SPD wieder stärkste Fraktion im Stadtrat.

Mit Käte Strobel, Renate Schmidt, Horst Schmidtbauer und anderen hat die Nürnberger SPD Persönlichkeiten hervorgebracht, die auch in der gesamten Republik bekannt wurden. Welche Rolle hat die Nürnberger für die Bundes-SPD gespielt?

Die Nürnberger SPD war von Anfang an eine Motor für die gesamte Partei und die Arbeiterbewegung. Sie war der zweitgrößte Mitgliederverband nach Hamburg und hat als erste Parteiorganisation ein Arbeiter-Sekretariat eröffnet, in dem sich Arbeiter beraten lassen konnten. Seit 1905 arbeitete hier mit Helene Grünberg auch eine Frau, was für die damalige Zeit eher ungewöhlich war. Und die Partei hatte mit der „Fränkischen Tagespost“ eine sozialdemokratische Tageszeitung, die Bedeutung weit über Nürnberg hinaus hatte. Mit Aktionen wie diesen hatte und hat die Nürberger SPD eine Vorbildfunktion für die gesamte Partei, aufgrund ihrer Bescheidenheit, ihrer Arbeitssamkeit, aber auch aufgrund ihrer permanenten Erneuerungsfähigkeit. Die Genossinnen und Genossen hier hatten auch nie Angst, junge Kräfte aktiv werden zu lassen – was sicher auch ein Grund für die tollen Wahlergebnisse gerade auf kommunaler Ebene ist.

Das Jubiläumsjahr ist vorbei. Ist Ihre Arbeit damit beendet?

Im Nürnberger Stadtarchiv gibt es 150 Meter laufende SPD-Geschichte. Die aufzuarbeiten, dauert. Und da wir in den letzten Monaten so viel positive Resonanz bekommen haben, werden wir unsere historische Arbeit auf jeden Fall fortsetzen. Wir werden im kommenden Jahr eine Historische Kommission der Nürnberger SPD einrichten werden. Sie soll die Geschichtsarbeit weiterführen.­­­

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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