Wie die Jusos die SPD fit für die Zukunft machen wollen
Der Stadtteil Britz in Neukölln widerspricht allen Klischees, die über Berlins berüchtigten „Problembezirk“ kursieren: Statt Betonwüsten viele Grünflächen, bunte Reihenhäuser statt grauer Mietkasernen – kurz: Kleinstadtidylle statt Ghetto-Kultur. Mit seiner weltberühmten Hufeisensiedlung, einem Vorzeigeprojekt des sozialen Wohnungsbaus, ist Britz historisch gesehen sogar so etwas wie sozialdemokratisches Kernland. Es gibt daher wohl kaum einen besseren Ort für ein Treffen der Jusos.
„Am Puls der Zeit“
Rund 300 junge Frauen und Männer aus dem ganzen Bundesgebiet reisten am Freitag in den Berliner Stadtteil Britz zum „Linkskongress 2016“, darunter „ganz viele neue Mitglieder“, wie sich die Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann freute. Die Tagung sei „ein Highlight der Jusos im Herbst“. Ein Jahr vor der Bundestagswahl lautete das Ziel der dreitägigen Konferenz: „Konkrete Antworten auf die Fragen unserer Zeit finden.“
Vor allem wollen die jungen Genossen ein Signal an die Sozialdemokratie senden: Die Jusos seien ein Jugendverband, der viele Ideen in die SPD tragen könne, findet Uekermann. „Wir sind am Puls der Zeit“, sagte sie gegenüber vorwärts.de. Das Motto des diesjährigen Linkskongresses: „Es geht auch anders“ – ein Leitspruch, der sich sowohl an die gesamte deutsche Gesellschaft als auch an die SPD richtet.
Rechtsruck nicht verschlafen
Ein brennendes Thema war der Umgang mit dem erstarkten Rechtspopulismus in Deutschland und Europa. Zum Auftakt diskutierten die Jungsozialisten darüber mit Journalisten und Bündnispartnern der Jusos. Eine deutliche Warnung an die deutschen Genossen kam von Hannah Lutz, Sprecherin des VSStÖ, der sozialistischen Studierendenvertretung Österreichs: In ihrem Heimatland sei der Rechtspopulismus der FPÖ längst „ein flächendeckendes Phänomen“. Die österreichische Sozialdemokratie sei viel zu lange nur in der Defensive gewesen: „Wir haben es damals verschlafen“, erinnert sich Lutz, „und haben viel zu spät angefangen, zu agieren.“
Als besondere Herausforderung machten die Teilnehmer der Auftaktveranstaltung die Spaltung der Gesellschaft aus. Es sei ein großes Problem, „dass der Abstand zwischen den Milieus zu groß geworden ist“, kritisierte die Autorin Julia Friedrichs. Bestimmte Debatten erreichten die Mehrheit der Gesellschaft gar nicht mehr, ergänzte die Journalistin Julia Korbik. Um dagegen etwas tun zu können, brauche die SPD „eine vollkommen neue Erzählung“, findet Friedrichs. Dem stimmte der Welt-Redakteur Daniel Friedrich Sturm zu: „Wer keine Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, sagte er in Abwandlung eines Helmut-Schmidt-Zitats.
Raus aus der Filterblase
Sturm stellte eine düstere Analyse der momentanen politischen Debatten in den Raum: Diese seien von „weniger Aufklärung, weniger Diskussion, weniger westlichen Werten“ geprägt. Zu viele in den sozialen Netzwerken hätten sich bereits in ihrem „Kokon der Selbstbestätigung“ eingerichtet. Der Podcaster Tilo Jung meint, die schiere Masse des Medienangebots überfordere viele Menschen. Anstatt selbst nachzudenken, wiederholten viele nur noch populistische Phrasen.
Um wieder mehr Menschen zu erreichen, müsse die SPD verstärkt eigene Themen setzen, waren sich alle Teilnehmer der einführenden Podiumsdiskussion einig. Die Jusos sollten sich fragen, was denn eigentlich das „Alleinstellungsmerkmal“ der Sozialdemokratie sei, forderte Jung. „Deswegen sind auch die Jusos so wichtig“, findet er: Der Parteinachwuchs müsse der Führung zeigen, wo die Zukunft sozialdemokratischer Politik liege.
Arbeitspolitik als Hauptanliegen der Jusos
Dazu gehört für die Jusos eine Reihe eigener Themen, vor allem in den Bereichen Arbeit und Soziales: Die Teilnehmer des Linkskongresses forderten am Sonntag eine Ausbildungsvergütung in Höhe des BAföG-Höchstsatzes, anonymisierte Bewerbungsverfahren sowie den Ausbau der Rente zu einer Erwerbstätigenversicherung. Alles Forderungen im Sinne des Kongress-Leitspruchs: „Es geht auch anders!“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.