Wie die Frauen gewinnen?
Aus gleichstellungspolitischer Perspektive waren die beiden letzten Bundestagswahlen desaströs. Die CDU hat sich zur Frauenpartei gemausert, die SPD hat im Segment der 35- bis 45jährigen Wählerinnen nur 14,6% (2009) bzw. 11,6% (2013) der Stimmen erzielt. Sehr positiv ist, dass wir jetzt mit Andrea Nahles und Manuela Schwesig zwei starke Ministerinnen haben, die mit Mindestlohn, Elterngeldreform und Quote sozialdemokratische Gleichstellungsprojekte bereits erfolgreich auf den Weg gebracht haben und sie auch vorleben. Die Entgeltgleichheit für Frauen und Männer und der Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit werden folgen.
Trotzdem können wir bei Wählerinnen nicht punkten. Woran liegt das? Bis heute gibt es keine ehrliche Aufarbeitung unseres Wahldebakels. Wir haben uns daran versucht und uns dabei folgendes gefragt.
Nur ein richtiges Frauenleben – wie ernst meinen wir es mit der Selbstbestimmung?
Oft scheint es, als gäbe es für uns Sozialdemokratinnen nur ein richtiges Frauenleben: von der Ausbildung bis zur Rente Vollzeit zu arbeiten, die Kinder so früh wie möglich in Ganztagskitas und -schulen zu schicken und sich ständig fit zu machen für den nächsten Karrieresprung. Frauen, die das nicht schaffen oder nicht wollen, bekommen von uns viele Zweifel mit auf den Weg: Wird meine Partnerschaft halten? Bin ich im Alter arm? Lebe ich überhaupt das richtige Leben?
Die Auseinandersetzung mit diesen Zweifeln mag feministisch richtig sein. Als SPD bringt uns das in ein zweifaches Dilemma. Erstens: So lange weder die Strukturen noch die Mehrheit der Männer ökonomische Unabhängigkeit und partnerschaftliche Arbeitsteilung möglich machen, verordnen wir Frauen ein Leitbild, das viele praktisch gar nicht leben können. Zweitens stellt das „eine richtige Frauenleben“ das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in Frage.
Im Wahlkampf zum Beispiel verstanden die Wählerinnen unsere Reform des Ehegattensplittings nicht als Beitrag zur partnerschaftlichen Arbeitsteilung, sondern als Angriff auf die Mittelschichtsfamilien. Vielleicht müssen wir uns hier selbst mehr Gelassenheit verordnen. Und parallel unsere progressive Geschlechter- und Familienpolitik so attraktiv machen, dass sich das Ehegattensplitting von selbst erledigt. Dann aber gehören Kitaausbau und Familienarbeitszeit in den Mittelpunkt unserer Politik – und dürfen nicht verschämt im Wahlprogramm verschwinden.
Beharren auf Alleinstellungsmerkmalen – streberhaft und isolierend?
Die SPD steht sich oft selbst im Weg. So auch bei der Berliner Erklärung, einer parteiübergreifenden Allianz für mehr Frauen in Führungspositionen. Den meisten Beobachterinnen gilt sie als erfolgreiches Beispiel für Politikgestaltung, ohne die die Quote nicht im Koalitionsvertrag gelandet wäre.
Ganz anders die Bewertung in unserer eigenen Partei: Viele finden die „Berliner Erklärung“ bis heute falsch, als Angriff auf das (vermeintliche) Alleinstellungsmerkmal einer modernen Gleichstellungspolitik. Doch gewinnen wir mit unserer Ricola-Haltung „Wer hat´s erfunden?“ noch einen Blumentopf? Ist es nicht erfolgreicher und sympathischer, für unsere Projekte neue Bündnispartnerinnen zu gewinnen? Zumal, wenn wir ihnen einen Anteil am gemeinsamen Erfolg gönnen? Und sollen wir um Mehrheiten zu gewinnen, nicht ein bisschen von der reinen Lehre abweichen?
Technokratische Instrumente-Debatte – ist das Politik oder nur BWL?
Bei der Quote haben wir im ersten Schritt für den gesellschaftlichen Rückhalt gesorgt. Oft lief es anders. Da haben wir uns in technokratischen Debatten über Instrumente verirrt. Und dabei unsere guten Ziele aus dem Blick verloren.
Beispielsweise beim „Neuen Kindergeld“. Der Vorschlag hätte die Familienförderung gerechter machen, Familienarmut bekämpfen und den Mindestlohn sinnvoll flankieren können. Und hatte damit das Zeug zum Wahlknüller!
Doch es kam anders. Denn eine gesellschaftliche Debatte zu diesen wichtigen Zielen haben wir nicht geführt. Stattdessen hatten wir ein Dutzend verschiedener Modelle durchgerechnet und Gutachten zur Administrierbarkeit in der Schublade liegen. Die Folge: Der Funke sprang nicht über. Die Eltern konnten hinter den tausend Details die eigentliche Idee nicht mehr erkennen. Derweil punktete Angela Merkel lässig, indem sie – nicht gegenfinanziert – enorme Kindergeld- und Freibetragserhöhungen für 10 Mrd. Euro versprach. Das (Wahl)Ergebnis ist bekannt.
Mit guten Ideen gewinnen
Wir müssen öfter Debatten entfachen, die an der Lebenswirklichkeit der Menschen ansetzen, wie zum Beispiel aktuell bei der Familienarbeitszeit. Wir müssen mit unseren guten Ideen überzeugen statt mit negativen Sparbeschlüssen abzuschrecken. Und wir müssen mehr Allianzen schmieden. Trotz aller Antworten gibt es noch viele Fragen, die wir diskutieren müssen. Deshalb freuen wir uns auf eine Debatte – hier und bestenfalls auch in der Partei!
Zum Autorinnen-Kreis „Springer-Runde“ gehören auch:
Dr. Kristina Augst, Studienleiterin des Religionspädagogischen Instituts (RPI) der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)
Dr. Uta M. Biermann, Geschäftsführerin der SPD Region Hannover
Nancy Böhning, Referentin beim SPD-Parteivorstand und Organisatorin des „Barcamp Frauen“
Dr. Claudia Bogedan, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung bei der Hans-Böckler-Stiftung
Dr. Kerstin Freudiger-Utke, Referentin für Familien- und Jugendpolitik beim SPD-Parteivorstand
Katrin Münch, Leiterin der Abteilung Kommunikation beim SPD-Parteivorstand
Die Autorinnen geben hier ihre private Meinung wieder.
ist Politikwissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Zukunftsforums Familie e. V. (ZFF).