Parteileben

Wie in der Ukraine geborene SPD-Mitglieder auf den Krieg schauen

Rodion Bakum, Igor Matviyets und Oleg Shevchenko engagieren sich in der SPD. Alle drei sind in der Ukraine geboren und schauen nun mit Sorge auf den Krieg im Land.
von Jonas Jordan · 25. Februar 2022
Igor Matviyets engagiert sich in Sachsen-Anhalt in der SPD.
Igor Matviyets engagiert sich in Sachsen-Anhalt in der SPD.

„Das Land, das ich kannte, gibt es nicht mehr“, sagt Oleg Shevchenko, Mitglied im Landesvorstand der Thüringer SPD. Kommunalpolitisch engagiert er sich als Stadratsmitglied in Mühlhausen sowie im Kreistag des Unstrut-Hainich-Kreises. Geboren wurde er jedoch 1995 in Simfeeropol auf der Halbinsel Krim. „Damals war alles auf russisch, wir sprachen auch russisch, aber trotzdem fühlten wir uns zur Ukraine zugehörig.“ Die Erinnerungen an seine Kindheit seien schon 2014, als Russland die Krim annektierte, zerstört worden; nun nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine jedoch vollständig.

Erwacht aus einem Alptraum, angekommen in einem Alptraum

Shevchenko berichtet: „Ich bin am Donnerstagmorgen um 4 Uhr aufgewacht, weil ich einen Alptraum hatte. Doch als ich auf mein Handy geschaut und die Nachrichten gelesen habe, war das ein noch viel größerer Alptraum.“ Eine Mischung aus Fassungslosigkeit, Wut und Tränen zeigte sich bei ihm. „Es ist das eingetreten, was ich überhaupt nicht erwartet hätte“, sagt der frühere Landesvorsitzende der Thüringer Jusos, der einige Freunde in Kiew hat. Einer von ihnen arbeitet für eine Parlamentsabgeordnete aus der Partei von Präsident Wolodimir Selenskij. „Er hat sehr viel Angst um sein Leben und um sein Land“, berichtet Shevchenko.

Hoffnung machen ihm die vielen Demonstrationen, in Deutschland, aber auch beispielsweise in russischen Städten. Auch der Landesvorstand der Thüringer SPD hat am Donnerstagabend eine Resolution verabschiedet, in der sich die Sozialdemokrat*innen solidarisch mit den Menschen in der Ukraine zeigen. „Wir werden alles dafür tun, Schutz und Zuflucht auch in Thüringen zu gewähren“, heißt es darin. Shevchenko freut das, fordert darüber hinaus aber auch, schärfere Sanktionen gegenüber Russland in Erwägung zu ziehen.

Matviyets: „Man weiß nicht, was dieser Autokrat vorhat“

Igor Matviyets sorgt sich um seine Großeltern. Sie leben in der Zentralukraine, südlich von Kiew. „Meine Großmutter ist heute Morgen davon aufgewacht, dass ein Militärflughafen beschossen wurde“, sagt er am Donnerstagabend im Gespräch mit dem „vorwärts“. Um den Kopf frei zu kriegen, geht er eine Runde mit seinem Hund Pepe spazieren. Momentan sei es zwar ruhig in der Region, in der seine Großeltern wohnen. „Doch man weiß nicht, was dieser Autokrat vorhat“, sagt Matviyets, der sich etwas fassungslos über den russischen Angriff auf die Ukraine zeigt: „Die Fakten haben immer dafür gesprochen, aber ich hätte es trotzdem nie gedacht.“

Auch Matviyets wurde 1991 in der Ukraine geboren, mit sieben Jahren kam er nach Deutschland. Im vergangenen Jahr kandidierte er für die SPD für den Landtag in Sachsen-Anhalt, in Halle ist er Mitglied der jüdischen Gemeinde: „Ich engagiere mich politisch, weil ich glaube, dass ich dadurch einen gewissen Einfluss habe und etwas verändern kann in diesem Land. Deswegen macht mich die Lage in der Ukraine ziemlich ohnmächtig. Es tut einfach weh, festzustellen, dass man überhaupt keinen Einfluss hat auf diesen Autokraten.“

Zugleich sei er glücklich darüber, wie stark und einheitlich nun die Antwort vieler Staaten ausfalle. Er glaubt, man könne diesen Krieg nicht durch militärischen Druck lösen, sondern müsse versuchen, das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung zu lindern, durch offene Grenzen für Geflüchtete, aber auch durch medizinische Unterstützung.

Bakum: „Ich werde dieses Kiew wohl nicht mehr kennenlernen“

Rodion Bakum ist Vorsitzender der SPD in Mülheim an der Ruhr. Im Mai kandidiert er für den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Geboren wurde er 1990 in Kiew. Drei Jahre später kam er mit seiner Familie nach Deutschland. An die Ukraine hat er keine Erinnerungen mehr. Dennoch beschäftigt ihn die aktuelle Situation im Land. „Als ich gestern morgen um sechs Uhr aufgestanden bin, konnte ich es gar nicht glauben. Das ist der schlimmste Alptraum, den man sich vorstellen kann“, sagt der Mediziner.

Bakum hat sowohl ukrainische als auch russische Wurzeln. „Ethnisch gesehen kenne ich alle Seiten“, sagt er. Unter der aktuellen Situation leide vor allem seine Mutter: „Sie ist völlig fertig mit den Nerven und schickt mir ständig Fotos von Kiew, wie es früher aussah. Ich war seit 1993 nicht mehr dort und werde dieses Kiew wohl nicht mehr kennenlernen.“ Am Sonntag ist in Mülheim noch eine Mahnwache geplant. Danach hat er sich eine Woche Urlaub genommen, um den Kopf frei zu kriegen und zur Ruhe zu kommen.

Am Wochenende sind weitere Kundgebungen und Demos für Frieden in der Ukraine geplant.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare