Parteileben

Was die SPD aus der niedersächsischen Landtagswahl lernen kann

Es war der größte Wahlerfolg der SPD in diesem Jahr. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen holten die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit 1998 die Mehrheit der Stimmen. Für ihre Erneuerung kann die Bundespartei daraus einiges lernen.
von Axel Rienhoff · 15. Dezember 2017
Bürger-Gespräche statt Großveranstaltungen: Im Landtagswahlkampf in Niedersachsen hat die SPD damit gute Erfahrungen gemacht.
Bürger-Gespräche statt Großveranstaltungen: Im Landtagswahlkampf in Niedersachsen hat die SPD damit gute Erfahrungen gemacht.

Verfolgt man die Debatte über die Erneuerung der SPD, hat man das Gefühl einer Partei zuzuhören, die seit Jahrzehnten keine Wahl mehr gewonnen hat. Die Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober allerdings gewann die SPD mit einem für eine Volkspartei durchaus angemessenen Endergebnis von 36,9 Prozent. Dabei lag die SPD zwei Monate vor der Wahl noch 12 Prozentpunkte hinter der CDU. Diese Aufholjagd war sicherlich eng verknüpft mit einem leidenschafltich kämpfenden Spitzenkandidaten Stephan Weil. Aus dem Wahlkampf lässt sich aber auch lernen, wie die SPD ihre Wählerschaft wieder erreichen und begeistern kann.

1. Wir müssen wieder mit unseren Wählerinnen und Wählern sprechen.

Statt auf die klassischen Großkundgebungen setzten wir im Wahlkampf auf Town Halls im ganzen Land. „Auf ein Wort mit...“ nannten wir diese Veranstaltungsreihe. Bürgerinnen und Bürger konnten ihre Fragen auf Bierdeckeln notieren und eine Moderatorin stellte sie dem Spitzenkandidaten oder den Landesministerinnen und Landesministern. Zugebenermaßen stammt die Idee mit den Bierdeckeln aus der Fernsehsendung „Inas Nacht“. Funktioniert hat sie aber auch im Wahlkampf: Die Wählerinnen und Wähler fühlten sich in ihren Sorgen ernstgenommen, ein Dialog entstand und die Parteiprominenz war gezwungen, spontan zu reagieren, statt Standardfloskeln abzuspulen. Fast zwanzig dieser Town Halls absolvierte allein Stephan Weil zwischen Bundestags- und Landtagswahl. Am Ende hielten gut 50 Prozent der Niedersachsen Stephan Weil für bürgernäher als seinen Herausforderer, nur 12 Prozent sahen das andersherum.

2. Wir müssen uns die Wirkung unserer Sprache bewusstmachen.

Der Fraktionswechsel von Elke Twesten war ein Paukenschlag. Die trotzige Reaktion von Stephan Weil war es auch: „Ich werde einer Intrige nicht weichen“, erklärte er und rief Neuwahlen aus. Die CDU versuchte derweil erfolglos, den Übertritt als Beleg für die fehlende Regierungstauglichkeit von Rot-Grün zu inszenieren. Die Intrige aber blieb bis zum Wahltag an der CDU haften.

„Obamacare“ ist sicherlich eines der am häufigsten bemühten Beispiele dafür, was kluges und gezieltes Framing anrichten kann. Genau wie Demokraten in den USA reproduzieren auch wir Sozialdemokraten noch zu oft die Frames unserer politischen Gegner oder lassen uns ungewollte Debatten aufzwängen. Einen solchen Klassiker der CDU konnte Stephan Weil im Wahlkampf erfolgreich abwehren: Dem Versuch, Rot-Rot-Grün als Drohkulisse heraufzubeschwören, nahm er schnell den Boden: Er wolle die Linke im Landtag überflüssig machen, sagte er, wobei er sich von der Partei distanzierte, ohne aber Rot-Rot-Grün auszuschließen oder sich inhaltlich abzugrenzen – womit er sich einer Option beraubt oder zumindest progressive Wechselwähler hätte verlieren können.      

3. Wir müssen die Bedeutung von Daten anerkennen.

Bei der Landtagswahl in Niedersachsen hat die SPD 55 von 87 Wahlkreisen direkt gewonnen. 23 der Wahlkreise, in denen diesmal die SPD gewann, waren 2013 noch an die CDU gegangen. Grund für den Erfolg der SPD waren nicht nur engagierte Kandidatinnen und Kandidaten, sondern detaillierte Analysen jedes einzelnen Wahlkreises. Tür-zu-Tür-Wahlkampf und Media-Planung (dabei insbesondere die Facebook-Werbung) richteten wir auf Grundlage der Analysen nach Sinus-Milieus aus, fokussierten uns auf neunzehn besonders umkämpfte „Battlegrounds“ und kartographierten über 800 Orte im ganzen Land. So konnten Aktionen passgenau nur in diejenigen Straßenzüge stattfinden, in denen potenziell erreichbare Wählergruppen zu finden sind. Am Ende gewann die SPD jeden einzelnen Battleground.

Unsere Kundgebungen stießen dagegen auf eher verhaltenes Interesse: Während zu den beiden größten Veranstaltungen ungefähr 800 bzw. knapp 1.000 Menschen kamen, hat die niedersächsische CDU mit Angela Merkel mehrere Tausend Menschen zu jeder ihrer Kundgebungen mobilisieren können. Im Wahlkampf hat das bei uns zugebenermaßen zu Nervosität geführt. Im Endeffekt aber muss man sagen: Wichtig waren die Veranstaltungen nur für die Mobilisierung der eigenen Partei. Die Unentschlossenen und die Wechselwähler sind mit klassischen Parteiveranstaltungen kaum zu erreichen.

4. Wir dürfen Konflikte nicht scheuen.

Trotz begrenzter programmatischer Differenzen führte der Wahlkampf in Niedersachsen zu einer starken Polarisierung, auch auf persönlicher Ebene zwischen den Spitzenkandidaten. Der einigermaßen raue Umgangston gegenüber der politische Konkurrenz zog so Kritik auf sich, SPD und CDU konnten mit den Angriffen gerade im Internet aber auch überdurchschnittliche Reichweiten erzielen und die eigenen Anhänger mobilisieren.

Dies gilt auch für die CDU, die in absoluten Zahlen kaum Wählerstimmen verlor. Neben einer Bindung an die Volksparteien führte der leidenschaftliche Wahlkampf zu einer leicht gestiegenen Wahlbeteiligung und einer Mobilisierung von ehemaligen Nichtwählern, die sich mehrheitlich für die SPD entschieden. Gerade am Rand blieb gleichzeitig wenig Platz: Der AfD gelang es kaum, im Landtagswahlkampf durchzudringen. Die Linke scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde.

5. Wir müssen verstehen, dass nicht jeder Wähler ein Experte ist.

Aus Sicht derer, die im Jahr 2013 SPD oder Grüne gewählt haben, muss die Landesregierung viereinhalb Jahre sehr erfolgreich gewesen sein. Nahezu alle Wahlversprechen wurden eingelöst: die Abschaffung von Studiengebühren und des ungeliebten Abiturs nach zwölf Jahren (G8), der Ausbau der Ganztagsschulen und der erneuerbaren Energien, das Ende der Castor-Transporte. Eine historisch niedrige Arbeitslosenquote und ein Innenminister namens Boris Pistorius, der Polizei und Terrorismusabwehr konsequent ausgebaut hat, schlossen außerdem mögliche Angriffspunkte in Kompetenzfeldern, die der SPD zum Beispiel in NRW zum Verhängnis geworden waren.

Im Frühjahr durchgeführte Fokusgruppen zeigten uns allerdings deutlich, dass kaum einer dieser Erfolge in den Köpfen der Niedersachsen präsent war. Die Debatte über Studiengebühren etwa war seit vier Jahren beendet. Dass vor uns, also bis 2013, die CDU regiert hatte, wussten viele nicht mehr. Wählerinnen und Wähler sind eben nicht durchweg Politikexperten, die Maßnahmen direkt Parteien zuordnen können. Als Konsequenz stellten wir der eigentlichen Landtagswahlkampagne eine Bilanzkampagne vor und hämmerten nahezu repetitiv die eigenen Erfolge in die Köpfe der Wählerschaft und der eigenen Mitglieder ein. Trotz Verlust der Regierungsmehrheit konnte eine Wechselstimmung auch so vermieden werden.

Natürlich kann man die Erkenntnisse aus dem niedersächsischen Landtagswahlkampf nicht direkt auf eine Bundestagswahl anwenden. Als Partei sollten wir trotzdem daraus lernen – genau wie aus den Niederlagen, die wir in diesem Jahr hinnehmen mussten. Dann können wir auch wieder Wahlen gewinnen. Denn dass wir das Siegen nicht verlernt haben, zumindest das hat die Wahl in Niedersachsen bewiesen.

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Axel Rienhoff

ist Pressesprecher der SPD Niedersachsen.

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