Parteileben

Was die neuen Parteivorsitzenden Esken und Walter-Borjans mit der SPD vorhaben

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind die neuen SPD-Parteivorsitzenden. Sie wurden am Freitagnachmittag in Berlin mit deutlicher Mehrheit gewählt. Esken erhielt 75,9 Prozent, Walter-Borjans 89,2 Prozent Zustimmung von den mehr als 600 Delegierten.
von Vera Rosigkeit · 6. Dezember 2019

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans führen künftig die SPD. Die rund 600 Delegierten wählten den Ökonomen und die Informatikerin am Freitagnachmittag mit deutlicher Mehrheit an die Spitze der ältesten Partei Deutschlands. Zur Wahl zum neuen SPD-Parteivorsitz stehen eine Informatikerin und ein Ökonom, die nicht vergessen haben, woher sie kommen und vom sozialdemokratischen Aufstiegsversprechen profitiert haben.

Niedriglohnsektor austrocknen

Ihre Bewerbungsrede auf dem SPD-Bundesparteitag beginnt Saskia Esken mit einem Rückblick auf ihre berufliche Laufbahn. Als Paketbotin und Chaufferin habe sie gearbeitet, bevor sie eine Ausbildung zur Informatikerin absolviert und dann Software entwickelt habe.

Seitdem, betont Eskan, habe sich der Arbeitsmarkt nicht zum Guten gewandelt. Sie habe noch mit Tarif gearbeitet anstatt als Soloselbständige. Und unter den Kollegen habe es Solidarität statt Wettbewerb gegeben. Heute dagegen leiste sich Deutschland mit mehr als 20 Prozent der Beschäftigten einen der größten Niedriglohnsektoren in Westeuropa. In Schweden seien es nur drei Prozent.

„Ich will schwedische Verhältnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt“, fordert Esken. „Ich will das jeder Mensch von seiner Hände Arbeit leben kann“, fügt sie hinzu. Gleichzeitig müsse die SPD der „Betriebsrat der digitalen Gesellschaft“ sein.

Hartz-IV überwinden

Esken räumt jedoch auch ein, dass die SPD dazu beigetragen habe, dass dieser monströse Niedriglohnsektor entstehen konnte. Und ruft den Genoss*innen in Berlin zu, dass es Zeit sei, „umzukehren!“ Der Sozialstaat müsse in das 21 Jahrhundert überführt werden, erklärt Esken.

Alle Kinder müssten in Sicherheit aufwachsen können, betont sie. Das Sozialstaatskonzept sehe dafür eine Kindergrundsicherung vor. Ein Mindestlohn von mindestens zwölf Euro gehöre als Forderung ebenso zur programmatischen Erneuerung wie das Recht auf Weiterbildung.

Aber auch ein anderes Kapitel müsse laut Esken endlich abgeschlossen werden: „Wir waren die Partei, die Hartz-IV eingeführt hat. Und wir sind die Partei, die es wieder abschaffen und durch ein besseres und gerechteres System ersetzen wird“, betont sie unter großem Applaus.

Skeptisch, was Groko-Fortsetzung angeht

Und die Respektrente, das Wort des Jahres für die Grundrente, müsse jetzt kommen, so Esken. Wenn die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer versuche, die Grundrente in Geiselhaft zu nehmen für unseren Verbleib in der großen Koalition, dann sei das wirklich respektlos, kritisiert sie den Koalitionspartner scharf. Esken wörtlich: „So geht man nicht miteinander um.“

Klare Worte findet sie auch zur Fortführung der Koalition: Sie sei „skeptisch, was die Fortsetzung angeht“, sehe aber im in dem vom Parteivorstand am Vortag einstimmig beschlossenen Leitantrag eine realistische Chance auf Verhandlungen und betont, „nicht mehr und nicht weniger“.

Mutig sein, glaubhaft und standhaft, dass sei die Zukunft der SPD, die in ihrer „Denke schon viel mehr mehr große Koalition als eigenständige politische Kraft war“, kritisiert sie. Wer Angst davor habe, auch nur einen einzigen Wähler zu verärgern, der werde keinen einzigen begeistern“, so Esken: „Wer Angst hat, Wahlen zu verlieren, kann sie nicht gewinnen“, ruft sie den Delegierten zu. Dabei dürfe man keine Angst vor großen Tieren haben, auch nicht vor der Wahrheit, sondern sozialdemokratische Politik machen mit klarer Kante, klarem Kurs und klarer Sprache. „Standhaft. Sozial. Demokratisch“, sagt sie. „Das haben wir den Mitgliedern versprochen. Und das werden Norbert und ich auch halten“, sagt sie mit Blick auf Walter-Borjans.

Lindner sprachlos gemacht

Sie fügt an: „Norbert, komm zu mir!“ Walter-Borjans verweist zu Beginn seiner Rede ironisch auf die „vielen netten Kommentare“ nach dem Gewinn der Stichwahl. Besonders gefreut habe ihn der Kommentar von Christian Lindner auf Twitter. Dieser schrieb am vergangenen Samstagabend: „Ich bin völlig baff.“ Walter-Borjans sagt dazu: „Christian Lindner ist selten sprachlos. Deswegen war das kein schlechter Einstieg für neue Parteivorsitzende.“

Unter der Führung von ihm und Saskia Esken gehe es künftig darum, Politik für die vielen, nicht die wenigen zu machen. „Nicht die Demokratie hat sich den Märkten unterzuordnen, sondern die Märkte der Demokratie“, sagt Walter-Borjans. Er fordert: „Die SPD muss wieder die Partei der Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland werden.“

Mit den Finanzlobbys angelegt und gewonnen

Denn in den vergangenen 20 Jahren habe es bereits eine Vermögensumverteilung gegeben, allerdings von unten nach oben und nicht von oben nach unten. „Es ist höchste Zeit, das zu ändern“, sagt Walter-Borjans und verweist auf seine Erfolge als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen in der Bekämpfung von Steuervermeidung. „Wir haben 19 Millionen an Whistleblower überreicht und damit sieben Milliarden zurückgeholt, für Kitas, Schulen und Krankenhäuser.“ 

Der designierte Parteivorsitzende führt aus: „Wir haben uns mit den Finanzlobbys angelegt und wir haben gewonnen, weil wir uns nicht haben einschüchtern lassen.“ Denn Glaubwürdigkeit komme von Standhaftigkeit.

Es müsse für die SPD keinen Widerspruch bedeuten, stolz auf das Erreichte zu sein und unzufrieden mit dem noch nicht Erreichten: „Das gehört zu jeder Tour de France dazu. Wer eine Etappe gewinnt, der geht abends nicht ins Bistro, sondern macht weiter, weil er diese Tour gewinnen will.“

Gemeinsam für ordentlichen Linksschwenk

Zugleich geht Walter-Borjans auf zahlreiche Kommentierungen ein, wonach die SPD mit der Wahl von Esken und ihm einen Linksschwenk vollzogen habe: „Wenn eine Rückkehr der SPD zur Partei Willy Brandts ein Linksschwenk ist, dann bitte sehr, dann machen wir gemeinsam einen ordentlichen Linksschwenk. Wenn es links ist, das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern, dann haben wir nichts gegen diese Einordnung. Wenn es links ist, den öffentlichen Wohnungsbau auszubauen und Wohnen bezahlbar zu halten, dann sind wir selbstverständlich links.“ Aber eigentlich sei das nur „richtig sozialdemokratisch“. Denn wirtschaftlicher Erfolg und technologischer Fortschritt seien nur möglich, wenn der Zusammenhalt in der Gesellschaft gewahrt bleibe.

Walter-Borjans verspricht, das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen zu einer Renaissance führen zu wollen. In diesem Kontext stellt er die schwarze Null und die Schuldenbremse: „Wenn die schwarze Null einer besseren Zukunft unserer Kinder im Weg steht, dann ist sie falsch. Dann muss sie weg. Und das gilt auch für die Schuldenbremse. Kein Unternehmen würde sich selbst solch einer Investitionsbremse unterwerfen.“

Unbändige Lust, den Bus auf Kurs zu bringen

Mit Blick auf den von ihm in den vergangenen Wochen viel zitierten „neoliberalen Bus“ verspricht er zum Abschluss: „Saskia und ich haben unbändige Lust, den Bus wieder auf Kurs zu bringen.“

Ein Interview mit den neuen Vorsitzenden lesen Sie hier.

Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare