Was die Grundwertekomission für das SPD-Wahlprogramm empfiehlt
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Das aktuelle Papier der Grundwertekommission gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil unter der Überschrift „Sicherheit im Wandel braucht Vertrauen“ unterstellt der Sozialdemokratie ein prinzipiell positives Verhältnis zum Wandel. Er geht aber auch davon aus, dass es ohne Vertrauen keine Sicherheit geben könne. Damit werde laut Schwan die große Bedeutung von Vertrauen unterstrichen. „Wir müssen als Sozialdemokraten deutlich machen, dass wir Sicherheit nicht unreflektiert fordern können“, sagt Schwan. Vielmehr müsse die Sozialdemokratie ins Bewusstsein rücken, welche Gründe für Verunsicherung eine Rolle spielten. Dabei hänge es sehr von der inneren Sicherheit der jeweiligen Person ab, wie sie die äußere Welt wahrnehme, betont Schwan.
Der zweite Teil des Papiers zieht Folgerungen aus der Corona-Krise, insbesondere in Bezug auf Erfahrungen in der Arbeits- und Lebenswelt. Die Veränderungen und Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hätten grundsätzlich gerade in den sehr persönlichen Lebensbereichen der Familie große Anstrengungen erfordert und zu neuen positiven wie negativen Grenzerfahrungen geführt, konstatieren die Mitglieder der SPD-Grundwertekomission darin. Zugleich sei deutlich geworden, dass die Infrastruktur öffentlicher Güter und die Menschen, die die Gesellschaft damit versorgen – die Pflegekräfte, die Busfahrer*innen, die Dienstleister*innen aller Art – genauso „systemrelevant“ seien wie etwa Banken und insgesamt der Wirtschaftssektor.
Kommunikation in der Krise entscheidend
Auch wenn sich die dargelegten Erkenntnisse im Wesentlichen auf Erfahrungen während der ersten Corona-Welle im Frühjahr stützen, so seien diese in ähnlicher Form auch aktuell feststellbar, so Schwan. Grundsätzliche Erfahrungen, dass Menschen als soziale Wesen unter dem Shutdown litten, hätten sich bestätigt. Hinzu komme die verstärkte Erkenntnis, dass Kommunikation in der Krise von entscheidender Bedeutung sei. „Das ist auch den Regierenden langsam bewusst geworden. Denn sie können sich natürlich auch nicht über Corona-Proteste freuen“, folgert Schwan. Sie halte allerdings die Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Maßnahmen besser zu erklären, insofern für falsch, als dass es nicht darum gehe, diese zu erklären, sondern sie zu begründen.
Im dritten Teil werden Beispiele für die Verunsicherung im Wandel genannt und zugleich versucht, Lösungsansätze dafür zu finden. Es gehe laut Schwan auch darum, aus der Krise eine Chance zu machen: „Corona bietet neue Chancen für sozialdemokratische Politik.“ Dies gelte auch für Sicherheit aus sozialdemokratischer Perspektive. Diese umfasse zum einen sichere öffentliche Güter wie Wohnen, soziale Sicherheit, Rechtssystem, Bildung, die in den vergangene 30 Jahren gelitten hätten, zum anderen die Stärkung von Teilhabe und der Rolle der Zivilgesellschaft. Denn durch Teilhabe gewinne man Sicherheit, so Schwan.
Schwan: „Corona bietet neue Chance für sozialdemokratische Politik“
Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit spricht Schwan von einer Diskrepanz zwischen objektiven Daten und dem subjektiven Gefühl vieler Bürger*innen. Diese fühlten sich unsicher, obwohl rein statistisch die Aufklärungsquote viel besser und die Fallzahl vieler Straftaten geringer geworden sei. „Daran muss man arbeiten“, sagt sie. Auf globaler Ebene sei die nationalstaatliche Reichweite politischen Handelns in Bezug auf wirtschaftliche Prozesse durch die Globalisierung deutlich eingeschränkt. „Das führt zu einer großen Unsicherheit, weil Politiker nicht mehr die selben Handlungsmöglichkeiten wie nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Schwan.
„Wir haben im Sommer sehr intensiv getagt, weil wir vom Präsidium den Auftrag bekommen haben, einen Grundbefund der jetzigen Situation auszuarbeiten und in den Prozess der Erarbeitung des Wahlprogramms einzuspeisen“, berichtet Schwan bei einem Online-Pressegespräch. Herausgekommen ist ein 45-seitiges Papier mit dem Titel „Sicherheit im Wandel und durch Wandel“. Kurioserweise erschien bereits 19 Jahre zuvor im SPD-Parteivorstand ein Papier mit dem gleichen Titel. Allerdings gebe es laut Schwan einen signifikanten Unterschied zu 2001: „Damals war es sozusagen die Begründung der neoliberalen Wende der SPD, diesmal sind wir dabei, uns davon zu verabschieden.“
Die Erkenntnisse der Grundwertekommission in Form des Papiers wurden bereits vom SPD-Parteivorstand aufgenommen und sollen mit in das Wahlprogramm der sozialdemokratischen Partei einfließen.
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo