Was Betriebsrät*innen Olaf Scholz zu sagen haben
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Ein Daimler-Betriebsrat aus Sindelfingen brachte die allgemeine Aufbruchstimmung auf den Punkt: „Ich kann jetzt in meinem Bekanntenkreis offen über einen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz sprechen, und ich kriege Zustimmung“, stellte er zufrieden fest. Das sei lange Zeit nicht so gewesen. Die SPD hat es in der Region Stuttgart an der Basis nicht immer leicht, gegen eine kommunalpolitische Front aus Grünen, CDU und Freien Wählern zu bestehen. Dies spiegelt sich so in manchem „Bekanntenkreis“ wider.
Dass sich der Wind auch in Baden-Württemberg spürbar gedreht hat, konnte der Betriebsrat als Mitglied seiner „Herzenspartei“ am Montag im DGB-Haus Olaf Scholz persönlich sagen. Dort hatten sich neben SPD-Landeschef Andreas Stoch sowie der örtlichen Bundestagskandidatin Lucia Schanbacher rund 50 Betriebs- und Personalrät*innen aus den acht DGB-Gewerkschaften des Landes zusammengefunden, um dem Kanzlerkandidaten nicht nur zuzuhören, sondern vor allem, um mit ihm zu diskutieren. Das Medieninteresse war enorm. Allein sieben Kamerateams waren ins Willi-Bleicher-Haus gekommen.
Ein rotes Einstecktuch für Olaf Scholz
Der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann sagte zur Begrüßung, er habe vor der Bundestagswahl alle wichtigen Parteien zum Gespräch mit den Gewerkschaftsmitgliedern eingeladen. „Doch nur Olaf Scholz hat zugesagt.“ Der wiederum betonte, dass er sich den Fragen von Gewerkschaftsmitgliedern sehr gerne stelle, da er sich als Fachanwalt für Arbeitsrecht bis zu seiner Wahl in den Bundestag 1998 sehr intensiv für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern juristisch eingesetzt habe. Nun tue er dies politisch. „Das gehört bis heute zu meiner beruflichen Ausprägung.“
So gingen die Fragesteller*innen selbstverständlich davon aus, dass der Kanzlerkandidat Antworten auch auf sehr spezielle Fragen zur Organisation der Arbeitswelt hat. Die Bandbreite der Themen reichte von der Betriebsverfassung über Tarifautonomie, Freibeträge für Doppelverdiener, die auswuchernde Zahl von Beschäftigungsverhältnissen bzw. Entlohnungssystemen, die wieder auf ein Normalmaß zurückgestuft werden müssten bis hin zum deutschen und europäischen Mitbestimmungsrecht sowie der kürzlich auf den Weg gebrachten weltweiten Mindestbesteuerung. „Dass du das hinbekommen hast Olaf, Hut ab“, lobte Hanna Binder von ver.di.
Kunzmann stellte aus DGB-Sicht diese Forderungen: „Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung, dass sie Tempo macht für mehr soziale Gerechtigkeit und bei der Bekämpfung der Klimakrise.“ Sie müsse die Weichen stellen für eine Transformation, die unser Land gesellschaftlich und ökologisch zum Besseren verändere. Dazu gehörten eine aktive Industriepolitik sowie eine gerechte Sozial- und Steuerpolitik. Niemand dürfe verloren gehen. „Der Wandel gelingt, wenn die Beschäftigten mitgenommen werden und für sich Perspektiven erkennen“, sagte er. Am Ende seiner Rede stellte der DGB-Bezirksvorsitzende fest: „Wenn das alles mit den roten Socken zu machen ist, dann trage ich gerne rote Socken.“ Er selbst schenkte Scholz ein rotes Einstecktuch.
Die „kleinen Leute“ sind groß und wichtig
Olaf Scholz griff den Aspekt der Verlorenheit auf. „Das Gefühl, sozial abgesichert zu sein, ist in den 1970er und 80er Jahren verloren gegangen“, sagte er und fuhr fort: „Wir müssen einander auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen. Corona hat gezeigt, dass die ,kleinen Leute‘ ziemlich groß und wichtig sind. Die SPD steht für den gegenseitigen Respekt. Die Frage, wie viel eine Pflegekraft verdient, ist für uns alle ein Thema. Ich möchte, dass unser Land zusammenkommt.“ Der SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende im Landtag, Andreas Stoch, stimmte Olaf Scholz zu: „Wir wollen dafür sorgen, dass alle Beschäftigte den Respekt bekommen, den sie für ihre gute Arbeit auch verdient haben. Dazu gehören gute Löhne und eine Weiterbildung, die die Menschen im Job hält.“
Der SPD-Kanzlerkandidat versprach auch in diesem Kreis, dass er sich für ein „stabiles Rentenniveau“ einsetzen werde. Ein höheres Renteneintrittsalter werde es mit ihm nicht geben. Das Stabilitätsversprechen gelte ebenso für die kommenden Generationen. Damit der Rentenkasse das Geld nicht ausgehe, müsse es sozialversicherungspflichtige und gut bezahlte Arbeitsplätze geben. Auch deswegen sei die Anhebung des Mindestlohns für zehn Millionen Geringverdiener in Deutschland so dringend notwendig. Die Steuersenkungspläne der FDP seien teurer als die Rentenpolitik der SPD.
Eine gemeinsam Bitte hatten die Betriebs- und Personalrät*innen an den SPD-Kanzlerkandidaten: Er solle bis zur Wahl und darüber hinaus alles dafür tun, um zu verhindern, dass in einer Regierungskoalition unter Beteiligung der Sozialdemokraten die „Gelben mit ins Boot geholt werden müssen“.
ist freier Journalist, unter anderem für die Stuttgarter Zeitung und die Deutsche Presseagentur. Er ist zudem Fachtexter für die Einfache Sprache/Plain Language.