Parteileben
Warum wir Politiker geworden sind?
Unterschiedlicher könnte ihr Weg in die Politik nicht gewesen sein: Hans-Jochen Vogel und Gerhard Schröder. Die beiden Alt-Politiker sprachen in Markt Schwaben in der Nähe von München über ihre Gründe, Berufspolitiker zu werden.
von
Thomas Horsmann
· 13. Januar 2015
Diese Geschichte kennt man: Ein junger Mann rüttelt am Zaun des Kanzleramts und will da rein. Klar, Alt-Kanzler Gerhard Schröder (70) war das – und er hat es geschafft. Aber warum wollte der damalige Juso-Vorsitzende an die Macht? Und was veranlasste Hans-Jochen Vogel (88), der die Städte München und Berlin regierte und Minister war, sich sein Leben lang politisch zu engagieren? Spannende Fragen in Zeiten, in denen das Ansehen von Berufspolitikern immer schlechter wird, die Kritik an den Regierenden wächst und die Wahlbeteiligung stetig sinkt.
Diese Fragen versuchten die beiden sozialdemokratischen Alt-Politiker bei den „Schwabener Sonntagsbegegnungen“ unter dem Titel „Warum wir Politiker geworden sind?“ im offenen Gespräch zu beantworten. Bei der Veranstaltung, die zum 75. Mal von Alt-Bürgermeister Bernhard Winter (SPD) in Markt Schwaben organisiert wurde, war es durchaus von Vorteil, dass beide Politiker nicht mehr im Amt sind und ohne Vorbehalte antworten konnten. Unter den 300 Besuchern waren viele frühere Gäste der Dialogreihe aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Lehren aus der Nazi-Zeit
Was Hans-Jochen Vogel in die Politik trieb, war die Erfahrung des Nationalsozialismus. Vogel, damals Scharführer der Hitlerjugend, habe sich nicht vorstellen können, „dass man seinem Staat Widerstand leisten muss, sogar während des Kriegs“. Erst später als Soldat in Kriegsgefangenschaft, sei ihm aufgegangen, wie viel Leid das Nazi-Regime über die Menschen gebracht habe. So sei sein politisches Interesse geweckt worden.
„Was können wir tun, damit sich das nicht wiederholt?“, habe er sich gefragt. Deshalb sei er während seines Jurastudiums zu Parteiveranstaltungen gegangen, um sich zu informieren. Schließlich habe er sich für die Sozialdemokratie entschieden, deren Geschichte und deren Einsatz für soziale Gerechtigkeit ihn faszinierte habe. In München wurde Vogel schließlich zum Berufspolitiker. „Warum? Weil ich mich verantwortlich gefühlt habe, für das, was geschehen ist, und dafür Sorge tragen wollte, dass Konsequenzen gezogen werden.“
Politische Macht auf Zeit
Zuvor hatte der Jurist jedoch beruflich Fuß gefasst. Es sei wichtig, zunächst einen Beruf auszuüben, bevor man Berufspolitiker werde, hob Vogel hervor. So sammele man wichtige Erfahrungen und werde mit der Lebenssituation der Bürger vertraut. Gerhard Schröder fügte hinzu, dass in der Demokratie politische Macht nur auf Zeit verliehen werde, weshalb es wichtig sei, einen Beruf zu haben, in den man zurückkehren könne.
Wille zum sozialen Aufstieg
Den Alt-Kanzler führte ein völlig anderer Weg in die Politik. Als Kind der Nachkriegszeit habe Politik für ihn keine Rolle gespielt. Bei den Jungsozialisten habe er ein politisches Fundament vorgefunden, dessen Begründung sich ihm erst später erschlossen habe. Zunächst sei es ihm um Bildung gegangen. Bei Parteiveranstaltungen sei er häufig ans Mikrofon getreten und habe die Auseinandersetzung gesucht, um seine Argumentation zu schärfen. „Damals habe ich wohl ziemlichen Stuss geredet“, räumt Schröder freimütig ein. Doch das habe ihn nicht aufgehalten.
Erst nachdem er über den zweiten Bildungsweg Abitur gemacht, Jura studiert und als Rechtsanwalt Fuß gefasst habe, sei er Berufspolitiker geworden. Wichtig sei sein Wille zum sozialen Aufstieg gewesen und der Wille etwas zu gestalten, sozial und gesellschaftlich. Seit seiner Wahl in den Bundestag 1980 habe er eigentlich immer Bundeskanzler werden wollen, „das war immer mein Ziel“, erzählte Schröder. Er habe sich von der Frage leiten lassen, „wie schaffe ich eine Gesellschaft, die gerechter ist, als ich sie vorgefunden habe?“. Schmunzelnd räumte Schröder ein: „Natürlich spielte bei mir auch Geltungsbedürfnis und Eitelkeit eine Rolle.“
Medienschelte
Für die Demokratie sei es immer wichtig, sich politisch zu engagieren, betonte Schröder. Doch durch die heftige Kritik an Politikern bestehe heute die Gefahr, dass die Auslese der besten zu einer Auslese der schlechtesten werde. Daran schuld sei der Verlust an Privatheit, vor allem durch die Berichterstattung der Medien. „Politiker können nicht mit anderem moralischem Maß gemessen werden als alle anderen Bürger“, so Schröder. Medien sollten Privates sein lassen und den Leuten ihre Familien und Kinder lassen. Dann sei Politiker nach wie vor einer der reizvollsten Berufe.
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