Warum Jessica Rosenthal Juso-Bundesvorsitzende werden will
s.h. schroeder
Sie haben kürzlich erklärt, im Herbst als Juso-Bundesvorsitzende kandidieren zu wollen. Warum?
Nichts hat mein Leben und Denken so verändert, wie bei den Jusos beizutreten. Hier habe ich Weltveränder*innen mit so viel Überzeugung getroffen. Wir haben die Programmatik der Partei zum Positiven verändern können. An vielen Stellen haben wir auch personell Verantwortung übernommen und ich will, dass wir diesen Weg stark im Team weitergehen. Deswegen möchte ich kandidieren.
Wo wollen Sie andere Akzente als Kevin Kühnert setzen?
Es geht nicht darum, dass ich etwas anders machen will, sondern es geht darum, an welchen Punkten wir stehen. Kevin hat den Juso-Bundesvorsitz übernommen, als die SPD insgesamt in stürmischen Zeiten unterwegs war. Er hat unsere Position standhaft und sehr klug vertreten. Deswegen ist er jetzt zurecht stellvertretender Parteivorsitzender. Ich übernähme den Bundesvorsitz in einer anderen Situation. Es wird darum gehen, die SPD weiterzuentwickeln und den Weg weiterzugehen, den wir eingeschlagen haben. Es wird darum gehen, die SPD wieder so aufzustellen, dass sie für junge Menschen wählbar ist und natürlich Debatten hörbar weiterzuführen, beispielsweise mit Blick auf ein alternatives Wirtschaftssystem oder die Bekämpfung der eklatanten Ungleichheit. Das werde ich natürlich nicht alleine tun, sondern gemeinsam mit vielen Jusos in den Bezirken und Landesverbänden und mit einem stellvertretenden Parteivorsitzenden Kevin Kühnert.
Kevin Kühnert hat auch deswegen angekündigt, den Juso-Vorsitz vorzeitig abgeben zu wollen, um seiner Nachfolgerin die Möglichkeit zu geben, im Bundestagswahlkampf eigene Akzente zu setzen. Welche wären das bei Ihnen?
Ich möchte, dass die SPD meiner Generation wieder ein Zukunftsversprechen gibt. Es muss wieder heißen, dass es unseren Kindern einmal besser gehen kann. Das geht nur, wenn wir jetzt große Veränderungen gestalten. Dafür brauchen wir Zukunftsinvestitionen. Ich möchte, dass das unverkennbar zur DNA der SPD gehört. Das betrifft die sozial-ökologische Wende und die ökologisch umgebaute Industrie ebenso wie die Weiterentwicklung des Sozialstaates und die Zurückdrängung von Marktlogiken, beispielsweise im Gesundheitsbereich.
Mit welchem Bündnis geht das am besten?
Wir brauchen auf jeden Fall ein Fortschrittsbündnis in Deutschland. Wir haben gesehen, dass die Union vor allem eines kann: ausbremsen. Sie hat an vielen Stellen Bremsklotzpolitik betrieben. Das war ihre Funktion in dieser Koalition. Und das muss einfach enden. Gerade auch mit Blick auf junge Menschen. Die Überbrückungshilfen für Studierende in Höhe von 500 Euro sind beispielsweise ein Witz. Es wirkt oftmals so, als wäre Bundesbildungsministerin Anja Karliczek regelrecht stolz darauf, wenn die junge Generation zu den Verlierer*innen der Corona-Krise zählt.
Wie wird Ihre eigene Rolle im kommenden Jahr aussehen? Wollen Sie für den Bundestag kandidieren?
Wir haben als Jusos immer gesagt, dass wir auch personell Verantwortung übernehmen wollen. Das haben wir an ganz vielen Stellen gemacht: Wir haben seit der letzten Europawahl zwei Jusos im Europaparlament, wir haben ganz viele Jusos in den SPD-Strukturen auf Bezirks- und Landesebene. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Für mich als Juso-Vorsitzende wäre es mein Anspruch, dass ich mit gutem Beispiel vorangehe. Deshalb kann ich mir eine Bundestagskandidatur vorstellen. Die endgültige Entscheidung darüber werden wir in der Bonner SPD in den kommenden Monaten gemeinsam treffen.
Wie sieht der Zeitplan dafür aus?
Wir werden bis spätestens Ende des Jahres eine Entscheidung dazu getroffen haben.
Mit der Wahl zur Juso-Bundesvorsitzenden stünden Sie medial deutlich stärker im Fokus als bislang. Wie groß ist Ihr Respekt davor?
Natürlich habe ich Respekt davor. Aber auch in NRW haben wir Jusos unsere mediale Präsenz in den letzten Jahren spürbar erhöht. Auch wenn das Scheinwerferlicht auf Bundesebene bestimmt noch einmal 30 Prozent heller wird, fühle ich mich gut vorbereitet. Ich möchte eine starke Stimme für einen Verband und Bundesvorstand sein, der im Team agiert und gemeinsam seine Positionen nach außen kommuniziert.
Frühere Juso-Bundesvorsitzende wie Johanna Uekermann oder Franziska Drohsel hatten häufiger auch mal Konflikte mit der Parteispitze. Sie haben ein gutes Verhältnis zu Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Ist das ein Vorteil oder fehlt die Reibung?
Ich halte es für absolut falsch, dass man die Existenz der Jusos in einer Opposition der Parteiführung gegenüber sieht. Wir sind ein starker, selbstbewusster Faktor innerhalb der Partei, ohne den vieles nicht zu machen ist. Natürlich werden wir immer deutlich artikulieren, wenn Entscheidungen aus unserer Sicht inhaltlich falsch getroffen werden oder es nicht deutlich genug in die richtige Richtung geht. Da geht es aber immer um inhaltliche Kritik. Deswegen verwehre ich mich dagegen, dass die Jusos auf eine innerparteiliche Oppositionsrolle festgelegt sind. Unsere Rolle geht weit darüber hinaus.
Sind die Jusos noch der viel zitierte „Stachel im Fleisch der Partei“?
Ich weiß, dass viele in der Partei das so wahrnehmen und das nicht nur positiv besetzt verstehen. Wenn es heißt ein Stachel zu sein, weil wir überzeugt bei unseren Positionen bleiben und diese auch mal deutlich artikulieren, dann ist das so.
Rechnen Sie mit Gegenkandidaturen zur Wahl?
Es ist ein innerparteilicher demokratischer Prozess. Da ist es völlig klar, dass sich immer noch jemand überlegen kann zu kandidieren, aber ich habe schon sehr viel Bestärkung aus unterschiedlichen Teilen des Verbandes erlebt. Deswegen schaue ich mit Spannung und Freude auf den Bundeskongress.
Nordrhein-Westfalen als größter Landesverband hat dort ohnehin ein deutliches Gewicht.
Ja, aber es geht nicht um den größten Landesverband, sondern darum, dass wir am Ende als Jusos gemeinsam den Weg weitergehen und unsere Stärke weiter ausbauen wollen. Wir wollen die Partei weiter prägen, uns aber auch nicht länger erzählen lassen, dass bestimmte Dinge alternativlos sind. Im Gegenteil, wir wollen gemeinsam auch das Bestehende infrage stellen. Das ist das Ziel. Deswegen rechne ich nicht in diesen Landesverbandgrößen, auch wenn ich über die Unterstützung aus NRW sehr dankbar bin.
2021 wird mit der Bundestagswahl und sechs Landtagswahlen ein Superwahljahr. Was wünschen Sie sich dafür?
Eine inhaltlich klar aufgestellte Partei, die Debatten mit Mut führt, in langen Linien denkt und nicht aus Angst vor Skandalisierung in technischer Beschreibung verharrt. Es muss Schluss damit sein, dass wir schon in unseren Antworten irgendwelche Kompromisse mitformulieren. Wir stehen klar für Verteilungsgerechtigkeit. Denn wir haben eine Vermögensverteilung in diesem Land, die an eine Adelsgesellschaft heranreicht. Das müssen wir ändern. Wir stehen dafür, dass wir den Investitionsstau beheben und in die Zukunft investieren. Wir müssen für eine Kindergrundsicherung einstehen, für die Überwindung von Hartz IV und dafür, dass der Sozialstaat weiterentwickelt wird. Der Klimawandel muss ohne Wenn und Aber bekämpft werden, denn auch da können wir große Räder drehen. Und natürlich ist Arbeit für uns zentral. Die Austrocknung des Niedriglohnsektors muss unser oberstes Ziel sein, ich halte aber auch die Debatte über eine Arbeitszeitverkürzung für zentral. Denn die Technisierung bietet Chancen. Mir ist klar: Das sind keine kleinen Anforderungen. Aber jüngere Menschen haben verdient, dass für sie ein Zukunftsversprechen erneuert wird. Junge Menschen haben eine Sozialdemokratie verdient, die sich mutig an die Spitze der Debatten stellt und auch Gegenwind standhält. Ich bin überzeugt, nur dann können wir sie auch wieder für unsere Politik begeistern.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo