Parteileben

Warum Gesine Schwan und Ralf Stegner Parteivorsitzende werden wollen

Wer kandidiert für den Parteivorsitz? Der „vorwärts“ stellt alle nominierten Kandidat*innen in einem Interview vor. Alle bekommen identische Fragen und haben gleich viel Platz für das Interview. Gesine Schwan und Ralf Stegner fordern mehr Experimentierfreude und innerparteiliche Demokratie. Spätestens zur nächsten Bundestagswahl streben sie eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene an.
von Jonas Jordan · 30. August 2019
Ralf Stegner und Gesine Schwan bewerben sich gemeinsam um den Parteivorsitz der SPD.
Ralf Stegner und Gesine Schwan bewerben sich gemeinsam um den Parteivorsitz der SPD.

Nach der ersten Runde der Mitgliederbefragung haben es die Duos Klara Geywitz mit Olaf Scholz und Saskia Esken mit Norbert Walter-Borjans ins Finale geschafft. Alle übrigen Kandidierenden sind ausgeschieden.

Warum wollen Sie Parteivorsitzende werden?

Für die SPD mit ihrer stolzen, verdienstvollen Geschichte und den vielen guten Ideen, die wir haben, sind die die gegenwärtigen Wahlergebnisse, völlig unangemessen. Erst recht die Idee, die Sozialdemokratie habe sich überlebt. Die SPD wird gebraucht und hat viel mehr zu bieten. Wir wollen selbstbewusst mit programmatischer Klarheit und deutlicher Sprache sichtbar machen, was sie wirklich kann.  

Wie haben Sie sich zu diesem Duo zusammengefunden und wo unterscheiden Sie sich?

Wir kennen uns schon lange und obwohl wir ganz unterschiedliche Lebensläufe und Erfahrungen mitbringen, verstehen wir uns prima. Uns eint die Leidenschaft für die Ziele der Sozialdemokratie, und in gemeinsamer Zuversicht trauen wir uns an die große Herausforderung heran. Das geht ganz von allein wunderbar partnerschaftlich. Solche Partnerschaftlichkeit im Geschlechterverhältnis macht richtig Spaß, deshalb propagieren wir sie.

Warum sind Sie zur SPD gekommen?

Gesine Schwan: Mich haben vor allem die Friedens- und Versöhnungspolitik und die gesellschaftliche Erneuerung und Demokratiebewegung Willy Brandts zur SPD gebracht.

Ralf Stegner: Ich habe als Gastwirtssohn in der Pfalz schon als Kind mit vier Geschwistern gelernt, welch unterschiedliche Bildungschancen Kinder in unserer Gesellschaft haben. Bildung entscheidet über Lebenschancen. Es ist die SPD, die für gerechte Bildung eintritt.

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Was sind für Sie die drei wichtigsten Themen?

Ein handlungsfähiger und moderner Sozialstaat, der die Lebensrisiken solidarisch absichert, für gute Arbeit sorgt, die Güter der Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand behält und demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten auf allen Ebenen, besonders in der Kommune stärkt. Der notwendige ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft muss sozialverträglich ausgestaltet werden, damit mehr Verteilungsgerechtigkeit in den Veränderungsprozessen auch für entsprechende demokratische Mehrheiten sorgt.

Die Europäische Union war nach dem Zweiten Weltkrieg ein großartiger Sieg über Hass, Rache und Nationalismus. Nationalis­mus bedroht auch heute wieder Frieden und Wohlstand. Kein Problem kann mehr national gelöst werden. Deshalb muss Deutschland in einem gemeinsam handelnden sozialen Europa mit gutem Beispiel voran­gehen, wenn es um Frieden und Abrüstung, Klimapolitik, um die Bekämpfung der globalen Armut und um eine gemeinsame Flüchtlingspolitik geht, die die Kommunen über die Aufnahme mitbestimmen lässt und den Rechten beherzt den Boden ihrer Hasspropaganda entzieht. Dazu gehört, Gerechtigkeit gegenüber Einheimischen wie Geflüchteten zu praktizieren. Den Orientierungsrahmen dafür bilden die Nachhaltig­keitsziele der Vereinten Nationen, die ihre Wurzeln mit dem Brundtland-Bericht in den sozialdemokratischen Grundwerten haben.

Was wollen Sie als Parteivorsitzende verändern?

Wir brauchen leidenschaftliche Debatten in der ganzen SPD, die die Vielfalt unserer Volkspartei abbildet und zugleich neue Gemeinsamkeit schafft. Dafür sind innerparteiliche Solidarität und kollegiale Führung unabdingbar. Die Substanz von Sozialdemokratie muss uns wieder klar werden, wir wollen Diskussionen darüber initiieren, wie zum Beispiel Digitalisierung, Handelspolitik und der Ausstieg aus der Kohle im Lichte unserer Grundwerte zu gestalten sind. Das Gespräch verbindet oft mehr als neue Strukturreformen. Parteireform bedeutet im Übrigen gar nicht, immer neue Beschlüsse zu fassen, sondern manchmal das endlich zu tun, was wir längst beschlossen haben. Gleichzeitig würde uns mehr Experimentierfreude und innerparteiliche Demokratie gut tun, denn es gibt viele gute Ideen in allen Gliederungen unserer Partei, die inspirieren und begeistern. Wenn die SPD in ganz Deutschland wieder mehrheitsfähig werden soll, müssen wir in den Regionen mehr Unterstützung leisten, wo es unsere Genossinnen und Genossen besonders schwer haben.  

Wo sehen Sie die größte Herausforderung, vor der die SPD steht?

Unsere Partei mit Durchschnittsalter 60+, die ohne die Älteren keinerlei Kampfkraft hätte und die unseren langjährigen Parteimitgliedern unendlich viel verdankt, muss zugleich wieder viel attraktiver für junge Menschen werden. Zu diesem Dialog brauchen wir unsere Jusos mehr denn je. Wir werden gerade junge Menschen wieder begeistern, wenn wir glaubwürdig und offen über Zukunftsfragen reden und es sich für sie ersichtlich lohnt, sich bei uns zu engagieren. Wir erleben oft, dass junge Menschen gerade die Verbindung von Lebenserfahrung und geistiger Offenheit sehr schätzen.

Wie stehen Sie zu einer Regierungsbeteiligung der SPD im Bund?

Wir definieren uns nicht über Koalitionen, die in der Demokratie immer Bündnisse auf Zeit sind. Wir wollen nicht regieren um jeden Preis, aber wir teilen auch nicht die Sehnsucht nach der angeblichen Erholung in einer langjährigen Oppositionsrolle. Unsere Mitglieder haben der Koalition mit der Union mit großer Mehrheit zugestimmt und wollten trotzdem kein „Weiter so“. Das hat die Parteiführung auch zugesagt.

Für die vereinbarte Halbzeitbilanz heißt das: Es geht nicht nur um die Bilanz unserer Regierungsarbeit, auch wenn wir vieles erreicht haben, was das Leben der Menschen verbessert. Es ist unser Bundesparteitag, der darüber entscheidet, ob es ausreichende Perspektiven zugunsten unserer wichtigsten politischen Zukunftsziele (echte Grundrente, sozialverträglicher ökologischer Umbau unserer Industriegesellschaft, Steuergerechtigkeit, mehr Solidarität für den Zusammenhalt in Europa, friedenspolitische Initiativen statt Aufrüstung, …) in der verbleibenden Legislaturperiode gibt oder nicht. Entweder wir erringen sozialdemokratischer Erfolge, dann ist das gut für das Land – oder wir gehen mit diesen von der Union verweigerten Zielen selbstbewusst in den nächsten Wahlkampf. Unser Ziel ist, spätestens nach der nächsten Wahl ein progressives Bündnis mit Grünen und Linkspartei zu bilden. Dafür müssen wir aber selbst wieder stark werden.

 

Hinweis in eigener Sache:

Liebe Leserinnen und Leser,

der „vorwärts“ hält Sie über das Verfahren für die Wahl des Parteivorsitzes auf dem Laufenden. Das betrifft das Verfahren genauso wie die Vorstellung der Kandidierenden oder später die Berichterstattung über Regionalkonferenzen. Anders als die klassischen Medien berichten wir als Mitgliederzeitung aber erst, wenn die Kandidierenden offiziell vom Wahlvorstand nominiert worden sind und damit auch alle vom Parteivorstand beschlossene Kriterien erfüllt haben. Dabei ist uns die Gleichbehandlung aller Kandidierenden wichtig. Deswegen stellen wir allen identische Fragen, und alle haben gleich viel Platz für das Interview. Über die Länge der Antworten zu den einzelnen Fragen können die Kandidierenden selbst entscheiden. Auf weitere Berichterstattung über einzelne Kandidierende (Einzelne oder Teams) verzichten wir im Sinne der Gleichbehandlung, bis die Bewerbungsphase abgeschlossen ist.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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