Warum ein Sozialdemokrat Geflüchtete aus der Ukraine bei sich aufnimmt
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„Wir kennen uns seit mehr als 30 Jahren“, erzählt Rainer Grohmann aus Kerpen bei Köln. Damals arbeitete er als Bauleiter auf einer Baustelle in Dniprodserschynsk, etwa 400 Kilometer südlich von Kiew. „Swetlana war damals eine unserer Dolmetscherinnen auf der Baustelle. Die Verbindung hat über die Jahre gehalten. Als ich mitbekommen habe, dass sie auf der Flucht sind, habe ich relativ schnell wieder Kontakt aufgenommen und ihr klar gemacht: Wenn ihr irgendwie Hilfe braucht, wo unterkommen müsst, dann kommt hierher, egal wie. Wir werden das schon hinbekommen.“
In der Nacht, als der Krieg ausbrach, floh sie mit ihrer Tochter aus ihrer umkämpften Heimatstadt. „Bange Zeit verging, bis die Nachricht kam, wir sind in Moldawien. Mir fiel ein Stein vom Herzen“, erzählt Sozialdemokrat Grohmann. In einer Gruppe von circa 20 Personen ging es zunächst mit dem Auto über die ukrainisch-moldawische Grenze und weiter über Rumänien und Ungarn bis nach Wien. Von dort gelangten die beiden mit dem Zug nach Kerpen. Dort sind sie nun seit zwei Wochen und bilden mit Grohmann zusammen eine Wohngemeinschaft in einem Einfamilienhaus. „Ich wohne alleine im Haus, seit die Kinder ausgezogen sind. Im oberen Stockwerk sind zwei Zimmer und ein Bad, das die beiden für sich haben. Wir teilen uns die Küche und kommen bestens zurecht. Wir haben mit jedem Tag mehr Spaß“, sagt Grohmann.
„Sie sollten umsorgt, aber nicht erdrückt werden“
Natürlich spielen in den Gesprächen der drei aber auch die Erfahrungen und Erlebnisse von Krieg und Flucht eine Rolle. „Sie kommen verunsichert und mit Sorgen hier an. Frauen müssen ihre Männer zurücklassen, Kinder ihre Väter. Sie sprechen überwiegend nicht die Sprache des Landes, das sie nun aufnimmt. Daher sollten sie umsorgt, aber nicht erdrückt werden. Hilfestellung ist nur mit einer gewissen Professionalität möglich“, gibt Grohmann den Menschen zu bedenken, die wie er nun Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen wollen.
Wichtig ist aus seiner Sicht denjenigen, die in Deutschland ankommen, das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. „Wir sind in der Mehrzahl keine Trauma-Spezialisten. Aber wir können zuhören, wenn die Betroffenen sprechen, auch wenn wir nicht alles verstehen, was sie sagen. Für die, die sprechen, ist es Entlastung. Trost geht auch ohne Worte“, meint Grohmann. Er erinnert an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine Vielzahl geflüchteter Menschen in Deutschland ankam. „Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft. Nun haben wir eine ähnliche Situation. Nur wir haben bessere Voraussetzungen. Nutzen wir sie, dann schaffen wir es.“
Mit dem Fahrrad durch Kerpen
Im konkreten Fall läuft das Zusammenleben sehr gut. „Sie fühlen sich von Tag zu Tag wohler, haben Fahrräder von den Nachbarn bekommen und sind damit jetzt unterwegs“, berichtet Grohmann im Gespräch mit dem „vorwärts“. Demnächst solle Swetlana in der Schule als Sprachvermittlerin für die Kinder aus der Ukraine arbeiten und dort ihre Deutschkenntnisse einbringen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo