Warum die SPD jetzt einen Think Tank zur Digitalisierung hat
Als Elon Musk Twitter übernahm, war das für viele ein Schock. Einige haben der Kurznachrichten-Plattform inzwischen den Rücken gekehrt, auch SPD-Chefin Saskia Esken. Das sei ihr nicht leicht gefallen, gesteht sie am Dienstagabend ein. Der Schritt sei aber notwendig gewesen. Inzwischen hat Esken ein Profil beim alternativen, deutschen Dienst „Mastodon“.
Für Carla Hustedt kam der Twitter-Schock nicht überraschend. „Wir Akteure der Zivilgesellschaft waren die ersten, die auf Probleme mit kommerziellen Anbietern wie Twitter hingewiesen haben“, sagt sie. Hustedt leitet den Bereich „Digitalisierte Gesellschaft“ der Stiftung Mercator. „Man sollte zivilgesellschaftliche Stimmen nicht nur dann hören, wenn es brennt“, fordert sie.
„Digitalpolitik braucht einen festen Platz in der SPD.“
Genau das ist das Ziel des „Digitalhub“, eines Think Tanks zu Fragen der Digitalisierung, den die SPD am Dienstag offiziell gestartet hat. „Digitalpolitik braucht einen festen Platz in der SPD“, sagt Parteichefin Saskia Esken. „Ich will, dass in und mit der SPD über Digitalpolitik diskutiert wird.“ Das soll im Digitalhub nun regelmäßig passieren, nicht nur unter Parteimitgliedern, sondern auch mit Expert*innen und Initiativen.
Themen gibt es eine Menge, das wird schon bei der Eröffnungsveranstaltung im Willy-Brandt-Haus deutlich. „Manche Bereiche der Daseinsvorsorge liegen schon jetzt stärker bei digitalen Anbietern als beim Staat“, kritisiert etwa Martin Schallbruch, Geschäftsführer von „govdigital“, einer bundesweiten Genossenschaft zur Integration von IT-Lösungen im öffentlichen Sektor. Als Beispiel nennt Schallbruch den Dienst „Google Books“, der digital schon mehr Bücher zur Verfügung stelle als die größte Bibliothek.
„Der Staat macht zwar viel, aber häufig nicht sehr erfolgreich.“
Auch bei digitalen Plattformen des Staates sieht Schallbruch noch großen Nachholbedarf: „Der Staat macht zwar viel, aber häufig nicht sehr erfolgreich“, kritisiert er. Oft fehlten „Agilität und Attraktivität“. Eine Beobachtung, die auch Julia Borggräfe gemacht hat. Bis zum vergangenen Jahr war sie Leiterin der Abteilung Digitalisierung und Arbeitswelt im Bundesarbeitsministerium. Jetzt berät sie Unternehmen in Fragen der digitalen Transformation.
„Bei den technischen Kompetenzen sind wir nicht gut aufgestellt“, sagt Borggräfe. „Die Digitalisierung verändert auch die Art, wie wir zusammenarbeiten.“ Das werde häufig vergessen. Auch hier dürfte eine Aufgabe für den Digitalhub liegen. Saskia Esken stellt in einer Grundsatzrede jedenfalls klar: „Die Menschen brauchen ein grundlegendes Verständnis digitaler Strukturen.“ Und das bedeute digitale Bildung von der Grundschule an.
Blick auf den Parteitag 2023
Darüber hinaus will Esken mit dem „Digitalhub“ die Arbeit der Bundesregierung in Sachen Digitalpolitik „konstruktiv-kritisch“ begleiten. Bisher sei die Ampel „deutlich hinter dem Anspruch des Koalitionsvertrags zurückgeblieben“. Über das dort angekündigte „Digitalbudget“ sei bisher noch gar nicht gesprochen worden. Auch will Esken „moderne Arbeitsweisen nicht in den Nischen lassen“, sondern „Silodenken aufbrechen“.
Dem neuen Think Tank steht also viel Arbeit bevor, zumal er zum Bundesparteitag Ende 2023 konkrete Punkte vorlegen soll, die auch in das Programm für die nächste Bundestagswahl einfließen sollen. Julia Borggräfe formuliert am Dienstagabend schon mal ihren Wunsch an den Digitalhub: „Macht richtig Stress, damit Deutschland zum Vorreiter bei der Digitalisierung wird!“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.